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Eröffnungsvortrag: Symposion aus Anlaß des 100. Geburtstags von Theodor W. Adorno: But I Like It: Adorno und die Popkultur, Universität Münster, 4. bis 5. Juli 2003.
In überarbeiteter Druckfassung erschienen in: Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft, Heft 48/2, Dezember 2003, S. 195-206.

Mike Sandbothe

Was ist Medienphilosophie?

Normalerweise sind Was-ist-Fragen im akademischen Bereich beliebter als Wozu-Fragen. In Sachen Medienphilosophie aber ist das anders. Da es sie als wissenschaftliche Disziplin oder anerkanntes Forschungsparadigma noch nicht gibt, liegt die Frage „Wozu Medienphilosophie?“ den meisten Fachwissenschaftlerinnen und Fachwissenschaftlern viel eher auf der Zunge als die von mir heute zu bearbeitende Was-ist-Frage. Philosophinnen und Philosophen, die es vor der Vorstellung schaudert, eine weitere Bindestrich-Philosophie in den Reigen ihrer Fachabteilungen aufzunehmen, reagieren auf das Wort Medienphilosophie zumeist irritiert mit der Frage: Wozu denn das? Und die Zunft der Medien- und Kommunikationswissenschaftler winkt gestresst ab. Die haben mit sich selbst und den Grabenkämpfen schon genug zu tun, die derzeit zwischen den stärker sozialwissenschaftlich und den stärker kulturwissenschaftlich orientierten Kolleginnen und Kollegen um die Identität des Fachs ausgetragen werden.

Dass ich trotzalledem heute nicht „Wozu?“ sondern „Was ist?“ frage, mag umso mehr verwundern, als ich als Pragmatist ja eigentlich darauf spezialisiert sein sollte, Wesensfragen durch Nutzenfragen zu ersetzen. Freilich: Leute, die das tun, sind unter Geistes- und Kulturwissenschaftlern nicht immer wirklich gern gesehen. Das hat schon Adorno zu spüren bekommen. Obwohl er zweifellos über jeden Verdacht erhaben ist, als Pragmatist verschrien zu werden, hat er sich doch nicht nur Freunde im Kreis seiner Kolleginnen und Kollegen gemacht als er 1962 in der Zeitschrift Merkur die Frage „Wozu noch Philosophie?“ auf die öffentliche Agenda setzte; zumal er gleich zu Beginn seiner Überlegungen betonte, dass er „der Antwort keineswegs gewiß“ (Adorno, 1963, S. 11) sei.

Die kritische Skepsis gegenüber dem wissenschaftlichen Betrieb, seinen Fakultäten, Fächern und Abteilungen hat bei Adorno bekanntermaßen Tradition. Schon in der Vorrede zur Dialektik der Aufklärung stellt er sich gemeinsam mit Horkheimer die Frage, ob nicht der akademische Betrieb selbst und die Wissenschaft als solche – auch und gerade in ihren vermeintlich oppositionellen Facetten - längst zu einem Teil der Kulturindustrie geworden sind.

Wenn ich den Slogan dieser Festveranstaltung richtig deute, sind wir heute hier zusammengekommen, um die kulturindustrielle Subsumtion des Bildungsbetriebs unter die Welt des Big Business nicht einfach nur zu konstatieren, sondern so zu interpretieren, dass sie sich guten Gewissens feiern läßt. Über diese zugegebenermaßen etwas zugespitzte Auslegung des Rolling Stones Titels, der auf den poppigen Plakaten steht, die für diese Tagung werben, wird vermutlich zu diskutieren sein. Wie dem auch sei! Jedenfalls würde das Adorno-provozierende „But I like it“ erklären, dass ausgerechnet einem medienwissenschaftlichen Pragmatisten die unerwartete und deshalb umso größere Ehre zuteil geworden ist, diese Tagung mit einem Vortrag zum Thema „Was ist Medienphilosophie?“ zu eröffnen.

„Medienphilosophie“ ist ein Wort, das von Medienleuten gern verwendet und von Fachwissenschaftlerinnen und Fachwissenschaftlern gern vermieden wird. Jede Sendeanstalt, jede Redaktion, ja jede bessere Moderatorin und jeder bessere Talkmaster haben heute eine eigene Medienphilosophie. PR-Abteilungen und Öffentlichkeitsarbeiter in großen Unternehmen haben sie. Ebenso Filmemacherinnen und Fernsehproduzenten. Von den Politikerinnen und Politikern ganz zu schweigen. Peter Sloterdijk und Norbert Bolz gelten in Deutschland als Medienphilosophen. Vielleicht auch Ulrich Wickert und Harald Schmidt. Auf jeden Fall aber Christoph Schlingensief, Friedrich Küppersbusch und natürlich Alexander Kluge. International wäre darüber hinaus an Namen wie Michael Moore und Steven Spielberg, aber auch an die Wachowski-Brüder oder Peter Greenaway zu denken, um auf diesem Weg zugleich die Brücke von U zu E zu bauen.

Das Wort Medienphilosophie ist also fraglos ein zentraler Bestandteil der heutigen Kulturindustrie. Zumindest was den bisher vorherrschenden Sprachgebrauch angeht. Aber Sprachgebräuche können sich verändern; und der Sprachgebrauch des Wortes Medienphilosophie befindet sich derzeit mitten in einem solchen Veränderungsprozeß. Was ist Medienphilosophie? Wie wird das Wort heute verwendet? Welche Vorschläge gibt es, das Medienphänomen Medienphilosophie akademisch auszubuchstabieren und anzueignen? Welche Konzepte, welche wissenschaftlichen Entwürfe liegen vor und was folgt daraus für das Verhältnis von akademischer Forschung und massenmedialer Aufmerksamkeitsökonomie? Das sind Fragen, denen ich heute ein Stück weit nachgehen möchte.

Dabei wird es relativ trocken zugehen. Denn ich will versuchen, einen eher theoretisch gehaltenen Überblick über den aktuellen Stand der Diskussion zu geben. Neben meiner eigenen Monographie, die im Jahr 2001 unter dem Titel Pragmatische Medienphilosophie. Grundlegung einer neuen Disziplin im Zeitalter des Internet erschienen ist, liegen zwei weitere einschlägige Monographien vor. Da ist zum einen das ein Jahr zuvor erschienene Buch von Frank Hartmann, das unter dem Titel Medienphilosophie eine historische Rekonstruktion der Philosophiegeschichte unter medialitätstheoretischem Blickwinkel enthält. Und da ist zum anderen der systematische Entwurf von Matthias Vogel, der im gleichen Jahr wie meine Arbeit unter dem Titel Medien der Vernunft. Eine Theorie des Geistes und der Rationalität auf Grundlage einer Theorie der Medien erschienen ist.

Vor dem Hintergrund dieser drei Buchpublikationen ist die transdisziplinäre Debatte zu sehen, die aktuell geführt wird und in einem von mir mitherausgegebenen Sammelband dokumentiert ist. Der Band ist im Januar 2003 unter dem Titel Medienphilosophie. Beiträge zur Klärung eines Begriffs erschienen. In programmatischen Aufsätzen antworten darin zwölf Autorinnen und Autoren auf die Frage: Was ist Medienphilosophie?

Meine eigene Antwort auf diese Frage möchte ich im folgenden in der Auseinandersetzung mit sechs ausgewählten Positionen aus dem erwähnten Sammelband entwickeln. Dabei handelt es sich - in alphabetischer Reihenfolge - um die Positionen des Weimarer Medienphilosophen Lorenz Engell, der in Bologna lehrenden Mediensoziologin Elena Esposito, des bereits erwähnten Frank Hartmann, des Innsbrucker Medienphilosophen Reinhard Margreiter, des Gießener Philosophen Martin Seel und des Salzburger Kommunikationswissenschaftlers Stefan Weber.

Die inhaltlich jeweils sehr eigenständigen Positionen lassen sich auf einer mehr formalen Ebene vier unterschiedlichen Gruppen zuordnen. Den Mitgliedern von Gruppe 1, 2 und 3 ist gemeinsam, dass sie Medienphilosophie primär als wissenschaftliche Tätigkeit, d.h. als neues Lehr- und Forschungsprogramm innerhalb der Universität verstehen. Im Binnenverhältnis unterscheiden sich die drei Gruppen hinsichtlich des Fachs, dem sie medienphilosophische Themenfelder zuordnen: Margreiter und Seel denken dabei in erster Linie an die Fachphilosophie (Gruppe 1), Weber an die Kommunikationswissenschaft (Gruppe 2) und Esposito an Soziologie und Psychologie (Gruppe 3). Die Mitglieder der Gruppe 4 - Engell und Hartmann – heben sich davon insofern ab, als sie Medienphilosophie nicht in erster Linie als wissenschaftliche Tätigkeit, sondern als mediale Praxis definieren, die außerhalb der Universität in Redaktionen, Sendeanstalten und Softwareschmieden bzw. vom Mediensystem als Mediensystem ausgeübt wird.

Ich beginne mit der ersten Gruppe, also denjenigen Autoren, die Medienphilosophie  innerhalb der Fachphilosophie situieren. Deren schärfste Kritikerin ist Elena Esposito. Denn sie vertritt in ihrem Beitrag die Ansicht, dass es der traditionellen Philosophie aufgrund ihres „esoterisch[en]“ (Esposito, 26) Selbstverständnisses nicht gelingen wird, sich zu einer „spezifisch mediatischen Philosophie“ (Esposito, 206, FN 1) zu entwickeln. Zwar kann die Philosophie sich „auf die Medien als ihr Objekt“ (Esposito, 206, FN 1) einlassen. Was dabei herauskommt, sollte man Esposito zufolge aber nicht emphatisch als Medienphilosophie bezeichnen, sondern lieber mit dem bescheideneren Namen einer „Philosophie der Medien“ (Esposito, 206, FN1) ausstatten.

Wie eine Philosophie der Medien im einzelnen aussehen könnte, erläutert Esposito nicht näher. Hier kann Margreiter weiterhelfen. Unter dem Titel einer als „Bereichsphilosophie“ (Margreiter, 150) konzipierten Medienphilosophie bringt er etwas in den Blick, das Espositos Vorstellung von einer bescheiden angelegten und objektorientierten „Philosophie der Medien“ (Esposito, 206, FN1) nahe kommt. Margreiter schreibt: „So wie sich Philosophie z.B. mit Kunst, Moral oder Geschichte beschäftigen kann und dann als Kunst-, Moral- oder Geschichtsphilosophie auftritt, kann sie sich auch mit Medien und mit Medientheorie(n) als einem abgegrenzten und abzugrenzenden Gegenstandsbereich beschäftigen. Es geht dann (...) vor allem um Fragen der Begriffs- und Theoriebildung sowie der spekulativen Grundlagen und anzuwendenden Methoden innerhalb der Medienwissenschaft(en)“ (Margreiter, 150).

Im Unterschied zu Esposito jedoch ist Margreiter der Meinung, dass Medienphilosophie nicht nur als transdisziplinär orientierte Bereichsphilosophie zu konzipieren ist, sondern darüber hinaus als „zeitgemäße Gestalt einer ‚prima philosophia‘“ (Margreiter, 151). Für diese sei charakteristisch, dass sie im Unterschied zu jener „weder den gängigen Medienbegriff noch den gängigen Philosophiebegriff unberührt lässt“ (Margreiter, 150). Medienphilosophie als Bereichsphilosophie übernimmt Margreiter zufolge das vorhandene philosophische Fachvokabular unhinterfragt, um mit seiner Hilfe die begrifflichen Grundlagen der Medien- und Kommunikationswissenschaft zu reflektieren. Medienphilosophie als prima philosophia aber würde sich demgegenüber auf das philosophische Fachvokabular selbst zurückwenden und zwar mit dem Ziel seiner medialitätstheoretischen Transformation.

Die internen Gestaltungsaufgaben einer fachphilosophisch ausbuchstabierten Medienphilosophie betont auch Martin Seel in seinem Beitrag. Allerdings mit einem anderen Akzent: „Sie [die Medienphilosophie – M.S.] ist keine neue Disziplin neben den anderen Disziplinen, sondern vielmehr ein Renovierungsunternehmen, das, wenn es seine Sache gut macht, nicht allzu lange in Anspruch genommen werden muss.“ (Seel, 10). Während Magreiters Rede von der „prima philosophia“ (Margreiter, 151) erhaben und zeitlos klingt, stellt Seels „Renovierungsunternehmen“ (Seel, 10) die „begrenzte Mission“ (Seel, 10) der Medienphilosophie heraus.

Gleichwohl handelt es sich um zwei Seiten ein und derselben Medaille. Margreiter betont das Ergebnis des Renovierungsprozesses und bezeichnet die medialitätstheoretisch renovierte Philosophie als Medienphilosophie. Seel akzentuiert den Prozess der Renovierung und schlägt vor, den Begriff der Medienphilosophie allein für die Phase der Renovierung – also für „eine vorübergehende Sache“ (Seel, 10) - zu verwenden.

Vergleicht man die begriffspolitischen Strategien von Margreiter, Esposito und Seel, dann steht Margreiter allein auf der Seite der Liberalen und Esposito und Seel stehen vereint auf der Seite der Rigoristen. Die Rigoristen klammern Margreiters Bereichsphilosophie, d.h. den medien- und kommunikationswissenschaftlich vermittelten Gegenstandsbezug um der Reinheit der Wortbedeutung willen aus dem Begriff der Medienphilosophie aus. Eben deshalb wird Margreiters Bereichsphilosophie von Esposito ja nicht als „Medienphilosophie“, sondern als „Philosophie der Medien“ bezeichnet. Und gemeinsam mit Seel geht sie noch einen Schritt weiter.

Denn die beiden wollen auch dem, was Margreiter unter Medienphilosophie als prima philosophia versteht, noch die begriffliche Anerkennung versagen; Seel, indem er vorschlägt, nur den Übergangsprozess von der alten zur neuen prima philosophia (aber nicht die neue prima philosophia selbst) als Medienphilosophie zu bezeichnen und Esposito, indem sie die Möglichkeit einer „spezifisch mediatischen Philosophie“ (Esposito, 206, FN 1) und damit auch den Weg dorthin (sprich: den Sinn von Medienphilosophie als Renovierungsunternehmen) in Frage stellt.

Soviel zum aktuellen Disput, den die Mitglieder der ersten Gruppe einerseits untereinander, anderseits mit ihrer schärfsten Kritikerin führen. Im Zentrum steht dabei die Fachphilosophie als Ort medienphilosophischer Reflexion. Im Unterschied dazu situieren die Vertreter der zweiten Gruppe die Medienphilosophie schwerpunktmäßig innerhalb der Medien- und Kommunikationswissenschaft. So stellt etwa Stefan Weber gleich zu Beginn seines Beitrags fest: „Ich verstehe Medienphilosophie (...) als intellektuelle Gegenbewegung, als eine Renaissance des Luxus des reflektierenden Denkens im Kontext einer Medienwissenschaft, die sich immer mehr der Tyrannei der Praxis unterwirft“ (Weber, 176). Und zur Vermeidung von Missverständnissen fügt er hinzu: „Medien- und Kommunikationswissenschaft konstituiert sich im kybernetischen Kreislauf von Theorie, Empirie, Method(ologi)e und Praxis. Keinesfalls wäre Medienphilosophie auf Kosten medienpraktischer Übungen zu betreiben (doch passiert das irgendwo?), mindestens genauso fahrlässig wäre aber auch zunehmend theorie- oder sogar hypothesenlose Empirie (und dies ist sehr wohl in steigendem Maße zu beobachten)“ (Weber, 176).

Der Ansatz von Weber erinnert an Margreiters dienstleistungsorientierte Bereichsphilosophie. So lesen wir bei Weber: „Medienphilosophie in diesem Sinn meint (...) die Beschäftigung mit den philosophischen Grundlagen medien- und kommuniktionswissenschaftlicher Theoriebildung“ (Weber, 176). Und erläuternd fährt er fort: „Medienphilosophie wäre somit auch als ein Bemühen zu verstehen, Theorie-Importe ins Fach der Medien- und Kommunikationswissenschaft und Anleihen bei philosophischen Strömungen strukturiert (diachron wie synchron) zu rekonstruieren“ (Weber, 177). Eine Liste dieser Strömungen liefert er – selbstverständlich „ohne Anspruch auf Vollständigkeit“ (Weber, 177) - gleich mit. Sie lautet:

Postmoderne und Poststrukturalismus

Technikphilosophie

(Neo-)Marxismus und Kritische Theorie

Strukturalismus und Semiologie

Feministische Philosophie

Symbolphilosophie

Pragmatismus

Kulturalismus und Kulturphilosophie

Sozialphilosophie

Phänomenologie

Hermeneutik

Konstruktivismus und Systemtheorie

Webers Liste lässt sich als kommunikationswissenschaftliche Konkretisierung von Margreiters Bereichsphilosophie lesen. Dabei geht es weder um die Transformation der Philosophie noch um tiefgreifende Veränderungen der medienwissenschaftlichen Forschungspraxis. Statt dessen beauftragt Weber die Medienphilosophie mit wissenschaftstheoretischen Import-Export-Geschäften zwischen zwei mehr oder weniger unverändert bleibenden wissenschaftlichen Disziplinen. Man wird sich fragen müssen, ob ein derart schlichtes Modell die Anforderungen zu erfüllen vermag, die an eine zeitgemäße Medienforschung zu stellen sind.

Elena Esposito würde das sicherlich bezweifeln. Ihrer Ansicht zufolge sind sowohl die traditionellen Massenmedien als auch die neuen digitalen Netzwerke durch eine „autonome innere Dynamik“ (Esposito, 30) gekennzeichnet. Dies führe dazu, dass das Mediensystem immer stärker durch „Zirkularität“ (Esposito, 29), „Unkontrollierbarkeit“ (Esposito, 28) und „Unvorhersehbarkeit“ (Esposito, 29) geprägt sei. Der Journalist habe im heutigen Mediensystem nicht mehr die neutrale Stellung eines externen Beobachters, die der klassische Philosoph noch immer für sich reklamiert. Das gleiche gelte für den Computernutzer oder die Internetsurferin. Sie alle seien eingeschlossen und involviert und würden damit anerkennen, dass die „Bedingung der Beobachtung selbst“ (Esposito, 33) in der „konstitutive[n] Einbeziehung des Beobachters“ (Esposito, 33) in die Operationen des zu beobachtenden Systems besteht.

Aus diesem Grund sieht Esposito die Aufgabe einer zeitgemäßen Medienforschung darin, „eine Medientheorie anzubieten, die zirkulär über die Zirkularität der Medien reflektiert“ (Esposito, 33). Das solchermaßen von der Verfassung des Gegenstands geforderte ‚immersive‘ (d.h. in die Praxis der Medien eingebettete) Forschungsdesign aber könne aus prinzipiellen Gründen nicht von der durch esoterische Distanz geprägten Fachphilosophie realisiert werden. Das gelte auch für eine als Bereichsphilosophie konzipierte „Philosophie der Medien“ (Esposito, 206, FN1). Denn sobald diese „die Theorie mit den konkreten Operationen eines Systems korreliert“ (Esposito, 33) wäre sie gezwungen, „sich in Soziologie oder in Psychologie umzuwandeln“ (Esposito, 33). Die Medien- und Kommunikationswissenschaft befinde sich bereits auf diesem Weg. Die von ihr vorgeschlagenen Lösungen seien bisher jedoch „bloß pragmatisch“ (Esposito, 32), d.h. „Ergebnis einer empirischen Trial-and-error-Einstellung und keiner Theorie“ (Esposito, 32).

Die Vertreter der vierten Gruppe von Medienphilosophen - Lorenz Engell und Frank Hartmann - lassen sich auf die von Esposito beschriebenen Herausforderungen ein. Im Unterschied zu ihr jedoch wollen sie darauf reagieren, ohne dabei Medienwissenschaft und Philosophie in Soziologie oder Psychologie umzuwandeln. Die immersive Verschränkung von außerakademischer Medienpraxis und wissenschaftlicher Medienforschung, die ihnen vorschwebt, setzt freilich Veränderungen im medienwissenschaftlichen und fachphilosophischen Selbstverständnis voraus, die weit über das von Margreiter und Weber vorgeschlagene Import-Export-Modell transdisziplinärer Forschung hinausgehen.

Der Grundgedanke von Lorenz Engell lautet: „Medienphilosophie ist (...) ein Geschehen, möglicherweise eine Praxis, und zwar eine der Medien. Sie wartet nicht auf den Philosophen, um geschrieben zu werden. Sie findet immer schon statt, und zwar in den Medien und durch die Medien“ (Engell, 53). Dieses Zitat macht deutlich, dass Engell das Wort Medienphilosophie gezielt mit Blick auf die Medienpraxis verwendet. Er bezieht es also nicht in erster Linie auf die Fachphilosophie oder die Medien- und Kommunikationswissenschaft, sondern bezeichnet damit eine Tätigkeit innerhalb der medialen Praxis. Darin liegt der produktive und weiterführende Aspekt von Engells Ansatz. Problematisch ist demgegenüber sein Versuch, die medienphilosophische Tätigkeit, die innerhalb der medialen Praxis stattfindet, von den menschlichen Akteuren abzulösen und als interne Aktivität des Mediensystems zu bestimmen.

Dieser Versuch tritt in Engells Analyse der audiovisuellen Medienphilosophie zutage, die das Mediensystem des Fernsehens in Gestalt eines selbstreflexiv operierenden Programmangebots im Laufe seiner Geschichte ausgebildet hat. So interpretiert Engell die Live-Sendungen aus dem All und vom Mond, die in den Jahren 1968/69 ausgestrahlt wurden, als selbstreflexive und in diesem Sinn medienphilosophische Bildsequenzen. Ich zitiere: „Die fernsehgenerierte Welt als Welt schaut sich selbst beim Zuschauen zu und erfährt ihre eigene Medialität (...)“ (Engell, 61).

Das dieser Erfahrung zugrunde liegende medienphilosophische Paradigma besteht Engell zufolge in dem für das klassische Fernsehen charakteristischen Modell der Gleichzeitigkeit durch Übertragung. An seine Stelle trete im Fortgang der Fernsehgeschichte das Modell der Differenzerfahrung durch Selektion. Originalton Engell: „Eine Selektionsmaschine entsteht. (...). In der Fernbedienung kristallisiert sich apparativ das reflexionsfähig gewordene Fernsehen als Medium der Selektion. In ihr denkt und entwirft sich das Fernsehen als Medium; sie ist auf ihre Weise eine Philosophie des Fernsehens“ (Engell, 64f).

Die beiden Beispiele machen deutlich: In Engells Ansatz wird das Fernsehen als geschlossenes System zum Akteur medienphilosophischer Reflexion. Es sind nicht Menschen, also Medienberater, Fernsehproduzenten, Redakteure, Regisseure oder Kameraleute, die dem Medium Räume der Gestaltung eröffnen. Statt dessen handelt das im Luhmannschen Sinn verstandene Medium selbst. Es generiert seine Formen im nichtsprachlichen Raum der Bilder und Apparate als Fernsehphilosophie. Diese erscheint daher nicht als bewußtes Ergebnis der Arbeit von Medienphilosophinnen und Medienphilosophen, sondern als mehr oder weniger unkontrollierbarer Binneneffekt des Mediensystems und seiner Programmgeschichte. Das mag in den von Engell exemplarisch untersuchten Fällen sogar stimmen, bedeutet aber keinesfalls, dass es notwendig oder gar sinnvollerweise so ist.

Hier kann Hartmann weiterhelfen. Er beschreibt die Problemlage, in der sich die Philosophie im Zeitalter der digitalen Medien befindet, wie folgt: „Die neue Medienkultur tangiert alle Bereiche, die Philosophie bildet hier keine Ausnahme. Die Bedingungen vernetzter Kommunikation zwingen auch ihr einen Blickwechsel auf. Als abstrakte Form des kollektiven Gedächtnisses wird sie von einem neuen Medienarchiv herausgefordert; ihr absoluter Geist wird vom Eigensinn der Mediensphäre konkurrenziert; doch neben ihrer traditionellen Domäne der Begriffsarbeit lockt eine ungewohnte Immersion in Audiovisualität“ (Hartmann, 2003, 136). Was bei Engell und Esposito als Entweder-Oder erscheint (Esposito: Entweder philosophische Begriffsarbeit oder mediale Immersion! Engell: Entweder schriftliche Philosophen-Philosophie oder nichtsprachliche Medienphilosophie!) präsentiert Hartmann als die Möglichkeit eines Sowohl-als-Auch: „Es müßte gelingen, eine Medienphilosophie als ebenso eingreifende Praxis wie als Theorie anzulegen“ (Hartmann, 2003, 148).

Der zentrale Unterschied zwischen Engell und Hartmann besteht darin, dass Engells Vorschlag systemtheoretisch konfiguriert ist, während Hartmann eher pragmatisch vorgeht. Engell denkt Medienphilosophie als Effekt eines Mediensystems. Das Mediensystem der Schrift bringt die klassische Schriftphilosophie hervor. Das Mediensystem des Fernsehens bringt so etwas wie eine vom Fernsehen selbst mitproduzierte Fernsehphilosophie hervor. Letztere läßt sich zwar mit den Mitteln der Schriftphilosophie reflektieren und beschreiben, aber innerhalb des Fernsehens selbst läßt sie sich nicht aus der Distanz betrachten und gezielt gestalten, sondern nur immersiv mitproduzieren. Damit aber geht das spezifisch Philosophische – die kritische Distanz und der immer auch normativ auszubuchstabierende Wahrheitsbezug von Reflexion – verloren.

Um das zu vermeiden, denkt Hartmann sowohl die schriftbasierten als auch die nichtsprachlichen Typen von Medienphilosophie vom Menschen und seinen privaten und öffentlichen Zielen her. Medienphilosophie wird von ihm nicht systemtheoretisch als Form der Selbstbeobachtung des Mediensytems entworfen, sondern als Ausdruck einer „Wissenschaftsauffassung“ konzipiert, die „Eingriffe im emphatischen Sinn“ (Hartmann, 2003, 146) kennt. Damit ist ein pragmatisches Verständnis der wissenschaftlichen Praxis angesprochen, das „den Schritt vom Argument zum Experiment und von der Rekonstruktion zur Antizipation“ (Hartmann, 2003, 146) vollzieht.

Argument und Rekonstruktion stehen im Zentrum des klassischen Wissenschaftsverständnisses. Wissenschaft im klassischen Sinn gewinnt die Argumente, mit deren Hilfe sie das Gegenwärtige analysiert, durch die historische Rekonstruktion des Vergangenen. Davon unterscheidet sich das pragmatische Wissenschaftsmodell. Die Analyse des Gegenwärtigen im Rekurs auf das Vergangene ist für den Pragmatisten nicht das entscheidende Ziel wissenschaftlichen Forschens. Statt dessen geht es ihm um die Gestaltung der Zukunft durch eine gezielte Veränderung des Gegenwärtigen. Zugespitzt könnte man sagen: der klassische Wissenschaftler sucht die Wahrheit in der Vergangenheit; der Pragmatist aber weiß, dass die Wahrheit immer noch aussteht, d.h. sich erst in der Zukunft zeigen wird. Aus diesem Grund sind für ihn das Experiment und die Antizipation wichtiger als das Argument und die Rekonstruktion.

Wenn man sich diesen Unterschied zwischen der klassischen und der pragmatischen Wissenschaftsauffassung einmal klargemacht hat, wird verständlich, warum Medienphilosophie in Hartmanns Sinn „zu ihren ersten Aufgaben (...) die Überwindung der bestehenden Kluft zwischen Technikern und Theoretikern, Medienakteuren und Medienanalytikern, Programmierern und Programmierten“ (Hartmann, 2003, 148) zählt. Techniker, Medienakteure und Programmierer arbeiten mit den Mitteln des Experiments und der Antizipation. Sie verändern Gegenwart, um Zukunft zu gestalten. Theoretiker, Medienanalytiker und Programmierte finden sich demgegenüber mit der Gegenwart ab und versuchen diese mit argumentativen Mitteln aus der Vergangenheit heraus, d.h. im Rekurs auf ihre Geschichte zu verstehen. Will man die Wissenschaft pragmatisieren, dann ist es wichtig, den zukunftsorientierten Geist der Techniker mit dem vergangenheitsorientierten Geist der Theoretiker zusammen zu bringen.

Diesem Ziel ist Hartmann zufolge das Projekt der Medienphilosophie verpflichtet. Während Engell die Fernsehphilosophie der Praktiker von der Schriftphilosophie der Theoretiker fein säuberlich trennt und an der Eigenlogik der unterschiedlichen Mediensysteme festhält, läßt Hartmann sich auf den systemtheoretischen Denkzwang, dem Engell unterliegt, erst gar nicht ein: „Medienphilosophie weist über die Dichotomien von Theorie und Praxis, Text oder Nicht-Text hinaus, um all die verschiedenen Performanzen gleichberechtigt nebeneinander zu stellen“ (Hartmann, 2003, 149).

Aus der Perspektive von Hartmanns Medienphilosohie erscheinen Medien nicht wie bei Engell abstrakt als lose Koppelungen zwischen beliebigen Elementen. Statt dessen werden sie als „Operatoren im Prozess der Menschwerdung“ (Hartmann, 2003, 147) konzipiert. Daraus ergeben sich für die Medienphilosophie medienpraktische Transformationsaufgaben, die weit über die bloße Perfektion der Eigenlogik des jeweiligen Mediensystems (sensu Engell) hinausgehen. Diese Aufgaben werden von Hartmann mit dem Begriff der „Medienkritik“ (Hartmann, 2003, 139) bezeichnet und im Rekurs auf Vilém Flusser, Michel Serres und Gilles Deleuze (Hartmann, 2003, 140ff) sowie in lockerem Anschluss an das vor allem von Horkheimer explizierte Konzept einer „Kritischen Theorie“ (Hartmann, 2003, 146) skizziert.

Wendet man auf die beiden Vertreter der vierten Gruppe von Medienphilosophen - also auf Hartmann und Engell - das von mir bereits des öfteren verwendete Prinzip des Sowohl-als-auch-Denkens an, dann kann man sagen, dass Engell und Hartmann sich in Sachen Medienphilosophie ergänzen. Beide bestimmen die Aufgaben der Medienphilosophie nicht nur innerhalb der Fachphilosophie, sondern auch und vor allem mit Bezug auf die Medienpraxis. Im einen Fall geht es um theoretische Aufgaben, im anderen um praktische Aufgaben, die Medienphilosophinnen und Medienphilosophen innerhalb der Medienpraxis zu erfüllen haben.

Wobei man im Engellschen Sinn freilich gar nicht recht von Medienphilosophinnen und Medienphilosophen als Produzenten von Medienphilosophie reden kann. Hartmanns Ansatz zielt demgegenüber auf die menschlichen Akteure und ihre Intentionen, Wünsche, Hoffnungen sowie ihre privaten und öffentlichen Ziele. Ihm geht es nicht um die theoretische Rekonstruktion der Eigenlogik eines Mediums, das aus sich heraus Formen ausbildet. Statt dessen stellt er vielmehr die moralisch-praktische Frage nach dem Zweck, den ein Medium für konkrete Menschen und bestimmte Gesellschaften erfüllen soll.

Damit begibt er sich auf diejenigen Pfade, die ich in meiner Pragmatischen Medienphilosophie zu markieren versucht habe. Allerdings tut er das auf sehr zurückhaltende und vorsichtige Art und Weise. So spricht er zwar von den Medien als „Apparaten (...), die wir besser wie Instrumente spielen lernen sollten“ (Hartmann, 2003, 149). Wozu aber der Gebrauch medialer Instrumente letztlich dienen soll, bleibt einigermaßen unterbestimmt, wenn Hartmann im letzten Satz seines Beitrags in Frageform antwortet: „Für einen neuen Sound?“

In der Schwammigkeit dieses Antwortversuchs kommt zum Ausdruck, dass Hartmann in letzter Instanz der Mut fehlt, die von ihm eingeforderte Medienkritik tatsächlich in einem politisch-praktischen Sinn auszubuchstabieren. Statt dessen zieht er sich auf eine pluralistisch angehauchte Binnenpolitik medialer Praktiken zurück.

Dieser durchaus interessanten Konzeption zufolge öffnet Medienphilosophie „die Aufmerksamkeit für andere Register des Symbolischen“ (Hartmann, 2003, 148). Sie setzt sich für diejenigen Medien ein, die von einer Gesellschaft tabuisiert und vernachlässigt werden. Insofern betreibt Medienphilosphie im Hartmannschen Sinn Mediendemokratie im Binnenbereich der unterschiedlichen Mediensysteme. Sie wendet die Ideale demokratischer Gleichberechtigung auf die Welt der Medien an, indem sie sich für eine Gleichberechtigung der Mediensorten einsetzt.

Das ist wichtig und verdienstvoll. Aber in letzter Instanz bleibt das ein eher abstrakter Wert, der Hartmanns Pragmatismus zugleich ein Stück weit ausbremst. Konkret und im aristotelischen Sinn „praktisch“ wird die Sache erst dann, wenn man die Gleichberechtigung der Mediensorten ihrerseits als Instrument versteht, mit dessen Hilfe Menschen lernen können, offener und demokratischer miteinander und sensibler und ökologischer mit der Natur umzugehen. Erst wenn man diesen Schritt vollzieht, hat man den von Hartmann begonnenen, aber nicht konsequent vollendeten Übergang auch wirklich vollzogen, der von einem theoretischen Denken der Medien zu einer politischen Praxis gelingenden Lebens führt. Einer Praxis, die sich in einem dichten Kontext konkreter Normen und Werte vollzieht, auf die zu rekurrieren unter den Bedingungen praktischer Vernunft alles andere als eine petitio principii ist.

Just dies freilich ist von Horkheimer/Adorno in der Dialektik der Aufklärung aus ideologiekritischer Perspektive in Zweifel gezogen worden. Insofern ist, was die Diagnose angeht, Adorno Luhmann näher als dem pragmatischen Medienphilosophen lieb sein kann. Letzterer setzt auf die Gangbarkeit eines dritten Wegs, der – was die Therapie angeht - zwischen der Skylla eines systemtheoretischen Affirmismus und der Charybdis eines kulturkritischen Negativismus hindurchführt. Aus der Perspektive einer pragmatischen Medienphilosophie sind Popkultur, Spaßgesellschaft und Massenmedien historische Erscheinungen, deren Eigendynamik es nicht zu hypostasieren, sondern vielmehr zu gestalten und – wo nötig – auch gezielt zu durchbrechen gilt.

 

Literatur:

Adorno, Theodor W.: „Wozu noch Philosophie“, in: ders., Eingriffe. Neun kritische Modelle, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1963, S. 11-28 (zuerst in: Merkur, November 1962).

Engell, Lorenz: „Tasten, Wählen, Denken. Genese und Funktion einer philosophischen Apparatur“, in: Münker/Roesler/Sandbothe, S. 53-77.

Esposito, Elena: „Blindheit der Medien und Blindheit der Philosophie“, in: Münker/Roesler/Sandbothe, S. 26-33.

Hartmann, Frank: Medienphilosophie, Wien: WUV-Universitätsverlag 2000.

Hartmann, Frank: „Der rosarote Panther lebt“, in: Münker/Roesler/Sandbothe, S. 135-149.

Margreiter, Reinhard: „Medien/Philosophie: Ein Kippbild“, in: Münker/Roesler/Sandbothe, S. 135-149.

Münker, Stefan/Roesler, Alexander/Sandbothe, Mike (Hrsg.): Medienphilosophie. Beiträge zur Klärung eines Begriffs, Frankfurt a.M.: Fischer 2003.

Sandbothe, Mike: Pragmatische Medienphilosophie. Grundlegung einer neuen Disziplin im Zeitalter des Internet, Weilerswist: Velbrück Wissenschaft 2001.

Seel, Martin: „Eine vorübergehende Sache“, in: Münker/Roesler/Sandbothe, S. 10-15.

Vogel, Matthias: Medien der Vernunft. Eine Theorie des Geistes und der Rationalität auf Grundlage einer Theorie der Medien, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2001.

Weber, Stefan: „Under Construction. Plädoyer für ein empirisches Verständnis von Medienepistemologie“, in: Münker/Roesler/Sandbothe, S. 172-184.

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