erscheint in: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie 24 (2004) 1 [im Druck].
Christian Filk, Sven Grampp und Kay Kirchmann
Was ist 'Medienphilosophie' und wer braucht sie womöglich dringender: die
Philosophie oder die Medienwissenschaft?
Ein kritisches Forschungsreferat
Auszug
[...]
5 Pragmatische versus theoretizistische Konzeptualisierung von ‚Medienphilosophie‘
Wie bereits angeklungen, mutmaßen wir, dass ‚Medienphilosophie‘ möglicherweise im Sinne eines Interparadigma oder -diskurs als „Antwortversuch“ auf disziplinäre Desiderate gleichsam der Philosophie und der Medienwissenschaft fungiert. Im Rekurs auf medienphilosophisches Explikationspotential, so der Tenor der eingangs formulierten Arbeitshypothese, ließen sich Defizite innerhalb der eigenen Wissenschaftsdomäne beheben. Unsere Annahme lässt sich exemplarisch anhand von zwei markanten Konzepten einer ‚Medienphilosophie‘ eruieren. Zum einen handelt es sich um Mike Sandbothes Pragmatische Medienphilosophie: Grundlegung einer neuen Disziplin im Zeitalter des Internet (2001); zum anderen um Matthias Vogels Medien der Vernunft: Eine Theorie des Geistes und der Rationalität auf Grundlage einer Theorie der Medien (2001). Sowohl Sandbothe als auch Vogel geben ein instruktives Beispiel dafür ab, dass ‚medienphilosophische‘ Fragestellungen nunmehr sukzessive auch formaliter als Themata der akademischen (Weiter-)Qualifizierung in der philosophischen community akzeptiert werden. Die Abhandlung von Sandbothe erweist sich als die erste dezidiert medienphilosophische Habilitationsschrift im deutschsprachigen Raum überhaupt; die Arbeit von Vogel stellt eine der wenigen philosophischen Dissertationen mit explizitem medientheoretischen Fokus dar.
Beide Autoren reflektieren jeweils auf eine gemäß ihrer Analysen konstitutive Misere des kurrenten philosophischen Diskurses. Sandbothe konzentriert sich auf ein zweifaches, verhältnismäßig neues disziplinäres Forschungsinteresse. In formal-institutioneller Hinsicht intendiert er, „die Grundlegung von Medienphilosophie als akademische Disziplin im Kontext der Auseinandersetzung zu situieren, die gegenwärtig um das Selbstverständnis der Fachphilosophie geführt wird“ (Sandbothe 2001, S. 13). Sandbothe intoniert ‚Medienphilosophie‘ nicht allein als neue Bereichs- oder Fundamentaldisziplin innerhalb der vermeintlich oder tatsächlich überkommenen kanonischen Fachverständnisses der traditionelles Philosophie; vielmehr möchte er ein seiner Auffassung nach dominantes ‚theoretizistisches‘ Wissenschaftsverständnis transzendieren und ‚Medienphilosophie‘ im Rekurs auf die vorgängige breite Antizipation – Sandbothe spricht von „Renaissance“ (vgl. Sandbothe 2000; Sandbothe 2001) – des Neopragmatismus US-amerikanischer Provenienz konzeptualisieren. In theoretisch-konzeptueller Hinsicht konturiert Sandbothe einen triadischen, Luhmanns systemtheoretischer Mediennomenklatura (vgl. Luhmann 1997, erster Teilband) nicht unähnlichen Medienbegriff, der einen Konnex zwischen sinnlichen Wahrnehmungsmedien wie zum Beispiel Raum und Zeit, semiotischen Kommunikationsmedien wie zum Beispiel Bild, Sprache, Schrift und Musik und technischen Verbreitungsmedien wie zum Beispiel Buchdruck, Radio, Fernsehen und Internet proklamiert.
Während Mike Sandbothe bewusst mit dem der Schulphilosophie eingeschriebenen evolutionären (Selbst-)Verständnis von Diskurskontinuität bricht und explizit bestrebt ist, ‚Medienphilosophie‘ als einen neuen disziplinären Leittopos zu initiieren, folgt Matthias Vogel weitgehend implizit dem hergebrachten genealogischen Verlaufsmodell der Philosophie. Somit nimmt es nicht wunder, dass sich Vogel von der Anlage seines Unternehmens her auf ein ‚klassisch‘ zu nennendes theoretisch-konzeptuelles Erkenntnisinteresse, nämlich die Suche nach einem adäquaten Verständnis von ‚Rationalität‘ im Problemhorizont einer Theorie des Geistes kapriziert. In bewährt philosophischer Manier zentriert sich Vogels Studie um die Frage, was Rationalität sei. Jedoch fasst er dabei – und dies erlaubt ihm erst die Rubrizierung des eigenen Versuches unter eine Diskursformation ‚Medienphilosophie‘ – die Bedingungsmöglichkeiten der Rationalität dezidiert weiter, als in der bislang vorherrschenden Reduktion auf rein sprachliche Phänomene. Seine Überlegungen haben zur Prämisse, dass eine umfassender verstandene ‚Rationalität‘ über ein Momentum von „Produktivität“ verfüge, das mitnichten von der Fähigkeit oder Befähigung zur Sprache abhänge. Aus dieser Absetzungsbewegung gegenüber reduktionistischen Dispositionen des ‚Mentalen‘, nicht zuletzt analytisch-kognitivistischer Couleur, folgert, dass die Philosophie mit Zwangsläufigkeit ein Modell des Geistes zu begründen habe, das insofern eine höhere Komplexität aufweise, als hierin den gemeinsamen Charakteristika sowohl sprachlicher als auch nichtsprachlicher Äußerungen und intentionaler Zustände Rechnung getragen wird. In Vogels Konzept soll eben dies ein „Begriff des Mediums“ (Vogel 2001, S. 12) bewerkstelligen. Diese Bemühung um die Integration des Außersprachlichen in den Kanon der Rationalitätskriterien wird hier derart gefasst, dass es nach Vogels Einschätzung letztlich sogar darum gehen muss, „begriffliche Mittel zu entwickeln, die der Tatsache Rechnung tragen, dass mit guten Gründen auch die Entwicklung der (modernen) Kunst als eine Dimension der Entfaltung von Rationalität verstanden wird“ (Vogel 2001, S. 13).
Ersichtlich nehmen sich Sandbothes und Vogels ‚medienphilosophische‘ Positionen in puncto Konzept, Legitimation, Perspektive und Gegenstandsdefinition recht verschiedenartig aus. In gewisser Hinsicht markieren sie dadurch einen Gegensatz und Spannungsbogen, der für das gegenwärtige Diskursgefüge der Medienphilosophie kennzeichnend sein mag. Gemäß Sandbothes eigener (an Welsch 1995 anknüpfender) Klassifikation lässt sich eine pragmatische von einer theoretizistischen Auffassung von ‚Medienphilosophie‘ unterscheiden. Während erstere insbesondere darauf abzielt, „die medientheoretisch gewendeten Grundfragen der modernen Philosophie auf die soziopolitischen Handlungshorizonte zurückzubeziehen, von denen sich demokratische Gesellschaften leiten lassen“ (Sandbothe 2001, S. 12), richtet letztere ihr zum Teil kantianisch anmutendes Augenmerk auf „ein professionelles Verständnis von Medienphilosophie […], für das die theoretische Reflexion auf die Möglichkeitsbedingungen der Erzeugung von Sinn und der Konstitution von Wirklichkeit zum akademischen Selbstzweck geworden ist“ (Sandbothe 2001, S. 12).
Für die weitere Diskussion apostrophieren wir – hierin Sandbothes eigenen Zuschreibungen folgend (vgl. Münker / Roesler / Sandbothe 2003, S. 186) – Sandbothe als ‚Pragmatisten‘ und Vogel als ‚Theoretizisten‘ im ‚medienphilosophischen‘ Diskursgefüge. Beide Positionen lassen sich nach Maßgabe von Problemexposition, Argumentationsduktus und Schlussfolgerungen aneinander diskutieren und schärfen.
In seiner institutionshistorischen Verortung der ‚Medienphilosophie‘ als neuer Bereichs- oder Fundamentalphilosophie dient Sandbothe die Leitopposition von Pragmatismus und Theoretizismus als Explikationsbasis. Er diagnostiziert ein wirkungsmächtiges Spannungsgefüge, dem die sich just konstituierende Disziplin ‚Medienphilosophie‘ ausgesetzt sei. Das Spiel der Kräfte resultiere wesentlich aus dem inhärenten Transformationsprozess der modernen Fachphilosophie: „Diese Übergangssituation ist dadurch geprägt, dass neben das lange Zeit dominierende theoretizistische Selbstverständnis der akademischen Philosophie, in dessen Zentrum die selbstzweckhaft gewordene Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit menschlicher Erkenntnis steht, zunehmend pragmatische Alternativentwürfe treten“ (Sandbothe 2001, S. 15). Aus dem Insistieren auf eine theoretizistische Spezialisierung in der Fachphilosophie resultiere, dass das vor allem durch Kant repräsentierte breite Verständnis von Philosophie, das ausdrücklich pragmatische Perspektiven beinhaltete, sukzessive in der Profession der akademischen Philosophie suspendiert worden sei. Die aktuelle transgressive Bewegung in der Fachphilosophie, evoziert durch medienphilosophische Reflexionen, zeitige jedoch tiefgreifende und nachhaltige Folgen und Konsequenzen für die Disziplinenstruktur. Sandbothe diskutiert und differenziert die sich gegenwärtig abzeichnen Standardpositionen, allen voran die von uns oben paraphrasierten Modelle von Margreiter, Krämer und Seel, die das Paradigma der ‚Medienphilosophie‘ grosso modo zur Reformulierung und Respezifizierung ‚klassischer‘ Problemstellungen der Epistemologie, Sprach-, Kulturphilosophie, Philosophischen Anthropologie etc. nutzen möchten. Vor diesem Hintergrund gewinnt für Sandbothe dann gerade der Diskursstrang an Prominenz, der einer „Rehabilitierung des pragmatischen Selbstverständnisses der modernen Fachphilosophie“ (Sandbothe 2001, S. 48) das Wort redet. Aus der Rezeption des ‚klassischen‘ Pragmatismus (Charles Sanders Peirce, William James und John Dewey) respektive des Neopragmatismus (Wilfrid Sellars und Willard Van Orman Quine beziehungsweise Richard Rorty und Donald Davidson) generiert Sandbothe eine Reihe von Maximen, die – auf einen Medienbegriff appliziert – einen doppelten Fokus sichtbar machen: „Zum einen können wir Wörter aus theoretizistischer Perspektive als Erkenntnismedien und Vermittlungsinstanzen auffassen, durch die hindurch sich uns – vorkantisch – die Wahrheit des Seins oder – nachkantisch – die Wahrheit der Erscheinungen erschließt. […] Zum anderen können wir Wörter aus pragmatischer Perspektive als Medien in einem handwerklichen Sinn verstehen, indem wir sie [...] als ‚Programm für neue Arbeit‘ und als Mittel im Sinn von Werkzeug gebrauchen, durch welche existierende Realitäten verändert werden können‘“ (Sandbothe 2001, S. 109).
Im Gegensatz zu Mike Sandbothes Alternativkonzept, das für eine aktive Partizipation an den pragmatisch gewendeten Weisen unserer Wirklichkeitsveränderung plädiert, kontinuiert Matthias Vogel anhand der Rationalitätsproblematik den traditionellen Fragehorizont der Möglichkeitsbedingungen menschlicher Wirklichkeitserkenntnis. Er positioniert sich damit im Diskurskontext der ‚Aufklärung‘ und einer normativ legitimierten Theorie von Rationalität, die trotz oder gerade wegen aller postmodernistischer Dekonstruktionsversuche, so Vogels Einlassung, nicht eilfertig aufgegeben werden dürfe. Eingedenk der dem Menschen eigenen Produktivität sui generis gelte es, diese rationalitätsinduzierte Setzung umso mehr zu bewahren, als dass sich Lernprozesse lediglich mittels normativer Parameter von reinen Prozesses des Wandels unterschieden. In Sinne einer vollständigen Begründung von ‚Rationalität‘ erachtet Vogel es schlechterdings als unumgänglich, den Menschen nicht allein als rational oder vernunftbegabt zu attributieren, sondern ihn darüber hinaus als zur künstlerischen Tätigkeit und zur ästhetischen Erfahrung befähigt zu charakterisieren, welche darüber eben zum weiteren Ausweis menschlicher Rationalität avancieren. Um von vornherein den Fallstricken einer auf das begriffliche Moment fixierten Vernunftkritik zu entgehen, pluralisiert Vogel also die Perspektive seiner Theorie der Rationalität und avisiert Sprache als ein durchaus – wie er konzediert – exponiertes, aber eben nur als ein Instrument des Verstehens. Bedingt durch den Sachverhalt, dass sich ‚Verstehen‘ als ein Moment der Intersubjektivität ausnimmt, werde es – so Vogel weiter – erforderlich, diejenigen Mittel zu analysieren, die als nichtsprachliches Analogon zur Sprache, jedoch gleichwohl als Instrument der sprachlichen Kommunikation anzusehen seien: „Ohne in die Unmittelbarkeit der Bewusstseinsphilosophie zurückzufallen, versuche ich, mit einer medientheoretischen Untersuchung die ganze Breite der Medien, in denen sich die Tätigkeit des Geistes äußern kann, in den Blick zu bekommen“ (Vogel 2001, S. 113).
Wo also Matthias Vogel strukturell in der abstrakten Sphäre einer theoretizistischen Fixierung auf sprachlichen und nichtsprachlichen Verstehenskompetenzen verharrt, wendet Mike Sandbothe seinen Vorschlag einer pragmatisch fundierten ‚Medienphilosophie‘ am Beispiel des (hierbei als Transmedium konzeptualisierten) Internets in der konkreten Forschungspraxis an. Für Sandbothe sieht sich die medienphilosophische Disziplin vornehmlich zwei Imperativen gegenüber. Diese wären „zum einen die Herausforderung, die von dem aktuellen Medienwandel ausgeht, in dessen Zentrum das Internet steht; zum anderen die Herausforderung, die sich mit dem Projekt der Ausbildung einer integralen Konzeption von Medienphilosophie verbindet, in der pragmatische und theoretizistische Traditionen des philosophischen Selbstverständnisses systematisch zueinander in Beziehung gesetzt werden“ (Sandbothe 2001, S. 152). Zur (Re-)Konstruktion der transmedialen Verfasstheit des Netzmediums rekurriert er auf die seither immer wieder bemühte terminologische Opposition Marshall McLuhans von „kühlen“ und „heißen Medien“ aus den 1960er Jahren. Um nicht Gefahr zu laufen, dem Theoretizismus McLuhans anheim zu fallen, übt sich Sandbothe in einer pragmatischen Rediskursivierung dieser Mediendifferenz indem er pointiert, dass Nutzer erst durch ihren sozial konstituierten Umgang mit Medien definiert werden, wenn man so will performativ, woraus im Hinblick auf den Definitionshorizont des Medialen folgt: „Medien sind aus dieser gebrauchstheoretischer Sicht nicht als wahrnehmungstechnische Erweiterungen von Sinnesorganen, sondern vielmehr als soziale Konstruktionen zu verstehen“ (Sandbothe 2001, S. 163). Transponiert auf die transmediale Verfassung des Internet bedeutet dies, dass Technik und Kultur eine sich wechselseitig stabilisierende Verbindung eingehen, die indes schon vorab mit den konventionellen Massenmedien etabliert wurde. Abschließend eruiert Sandbothe die soziopolitischen Implikationen, die eine Pragmatisierung des Mediengebrauchs für das alltägliche Selbst- und Weltverständnis des common sense kommandieren. Dabei thematisiert er wirtschafts-, bildungs- sowie medienpolitische Voraussetzungen, auf deren Basis sich womöglich demokratisch begründete Kommunikationsverhältnisse im Zeitalter des Internet – medienphilosophisch – besser gestalten ließen.
Bei aller konzeptueller Divergenz ist es frappierend, dass Mike Sandbothe und Matthias Vogel, was die ‚medientheoretische‘ Konfundierung ihrer jeweiligen ‚medienphilosophischen‘ Entwürfe anbelangt, im pragmatischen Diskurs Antworten auf unterschiedliche Desiderate finden. Während sich Sandbothe vom explanatorischen Potential des (Neo-)Pragmatismus für seine Problemexposition überzeugt zeigt, macht sich Vogel als einzige für ihn konsistente Theorieofferte Deweys Theorie der ästhetischen Erfahrung (Dewey 1988) zu eigen. Dieser methodologischen Wahl geht eine kritische Würdigung des kurrenten Spektrums von Medientheorien voraus, wobei sich – Vogels notierten Lektüreimpressionen nach zu urteilen, bei der sich die Vergleichshinsichten der Medientheorien jedoch nicht durchgängig als plausibel ausnehmen – insbesondere Talcott Parsons, Jürgen Habermas‘, Niklas Luhmanns und Marshall McLuhans Positionen als abschlägig zu bewerten seien. Allein Deweys theoretische Annotationen zur Theorie der ästhetischen Erfahrung böten produktive Anschlüsse für einen brauchbaren Medienbegriff. Dessen Vorschlag, in Medien das Fundament eines Prozesses am Werk zu sehen, gereicht Vogel insoweit zum Vorteil, als dass dieser Prozess der Ausbildung menschlicher Erfahrungsmöglichkeiten zupass kommt, was im Sinne einer medientheoretischen Basisierung von ‚Rationalität‘ von eminenter Relevanz sei. Zwei unterschiedliche Perspektivierungen sollen dies präzisieren: „Denn einerseits ist klar, dass den Erfahrungsmöglichkeiten auf Seiten der Künstler und Rezipienten Handlungsmöglichkeiten auf Seiten der Künstler korrespondieren, die sich erst unter Bedingungen der sozialen Etablierung von Medien ergeben“ (Vogel 2001, S. 158). – An dieser Stelle wird die Parallele zu Sandbothe, wenn auch mit anderer Akzentsetzung, offensichtlich! – „Andererseits aber verbindet sich diese Überlegung bei Dewey mit einer normativen Komponente, der Überlegung nämlich, dass die Entfaltung von ästhetischen Handlungsspielräumen ein Wert ist, der keiner externen Rechtfertigung bedarf“ (Vogel 2001, S. 158). Um den konzedierten Dilemmata und Inkonsistenzen der arrivierten Medientheorien ein angemessenes Theoriekonstrukt entgegenzusetzen, unternimmt Vogel den Versuch, eine Makrostruktur zu identifizieren, die für sämtliche Medien konstitutiv sei, um hieraus. einen allgemeinen Medienbegriff zu destillieren und diesen für eine Analyse der Prozesse des Verstehens nichtsprachlicher Handlungen – in erster Linie des Verstehens von Kunstwerken – zu adaptieren.
In einer sehr komplexen Reihe von Ableitungen, die im hier vorgegebenen Rahmen nicht einmal ansatzweise durchexerziert werden kann, gewinnt Vogel hierüber schließlich einen Begriff des Kunstwerkes als Mittel einer Form von Kommunikation, die in fundamentalen Interaktionsprozessen gründet. In diesen Interaktionsprozessen erst avancieren Menschen zu Wesen, die Geist besitzen. Von dort aus werde deutlich, dass es sich bei Sprache um eine spezifische Form der medialen Kommunikation handle; sie baue jedoch auf einer nichtsprachlichen Struktur des Geistes auf, die in elementaren kommunikativen Beziehungen begründet sei. Eine letzte große theoretische Bewegung führt Vogel an seinen Ausgangspunkt zurück, worin er sich letztendlich bestrebt zeigt, die Medientheorie für ein neues Konzept von ‚Rationalität‘ und der Reformulierung des ‚Projektes der Aufklärung‘ in Anschlag zu bringen: „Das vorgeschlagene Konzept soll vielmehr deutlich machen, dass man mit dem Gedanken ernst machen kann, dass ästhetische Kommunikation eine vollwertige Dimension der Entfaltung der Rationalität darstellt“ (Vogel 2001, S. 398 f.). Medien werden bei Vogel also nicht substantialistisch, sondern strikt funktionalistisch gefasst, allerdings zu dem Preis, dass die kategoriale Differenz zwischen sozialen Teilpraxen (wie Kunst) und deren Instrumentarien dadurch letztlich hinfällig wird. Was Vogel hierdurch für sein Projekt einer Reformulierung der Rationalität zu gewinnen vermag, büßt er im Hinblick auf eine medientheoretisch präzise formulierbare und differenzierungsfähige Konzeptualisierung sogleich wieder ein. Dem gegenüber entfaltet Sandbothes ‚gebrauchstheoretische‘ Definition des Mediums als Resultat sozialer Konstruktionsarbeit ein deutlich größeres Distinktionspotential in systematischer wie in historischer Hinsicht, lässt sich aber – wie von Sandbothe selbst ja programmatisch eingeräumt – dadurch eben nicht für ‚theoretizistische‘ Fragestellungen operationalisieren. Während Sandbothe sich von der Kontinuitätsobsession der akademischen Schulphilosophie ausdrücklich distanziert und angesichts deren transistorischer Situiertheit die Neuinitiierung einer ‚Medienphilosophie‘ favorisiert, kontextualisiert sich Vogel weithin im inhärenten Problemhorizont der fachphilosophischen Tradition. Unbeschadet aller Differenzen und Nuancen zwischen pragmatischen orientierten Entwürfen einerseits, theoretizistisch versierten Entwürfen andererseits, scheint sich jedoch – und hierfür wären Sandbothe wie Vogel als Beleg anzuführen – im aktuellen ‚medienphilosophischen‘ Diskurs eine merkliche Tendenz abzuzeichnen, in der medientheoretischen Konsolidierung auf das pragmatische Explanationspotenzial zu setzen. Dies schreibt eine ‚Bezüglichkeit‘ der Reflexionsarbeit in den Diskurs ein, die der eigenen Fundamentalerkenntnis über die mediale Verfasstheit jedweden Weltzugangs methodisch Rechnung zu tragen beginnt.
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Rezensierte Literatur
Sandbothe, Mike 2001. Pragmatische Medienphilosophie: Grundlegung einer neuen Disziplin im Zeitalter des Internet. Weilerswist: Velbrück Wissenschaft.
Vogel, Matthias 2001. Medien der Vernunft: Eine Theorie des Geistes und der Rationalität auf Grundlage einer Theorie der Medien. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft; 1556).
Weitere Literatur
Dewey, John 1988. Kunst als Erfahrung. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft; 703).
Luhmann, Niklas 1997. Die Gesellschaft der Gesellschaft [in zwei Teilbänden]. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag.
Münker, Stefan; Alexander Roesler und Mike Sandbothe (Hrsg.) 2003. Medienphilosophie: Beiträge zur Klärung eines Begriffs. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag (Fischer Taschenbuch; 15757).
Welsch, Wolfgang 1995. Vernunft: Die zeitgenössische Vernunftkritik und das Konzept der transversalen Vernunft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft; 1238).