erschienen in: Communicatio Socialis, Internationale Zeitschrift für Kommunikation in Religion, Kirche und Gesellschaft, hrsg. von Franz-Josef Eilers SVD in Verbindung mit Michael Schmolke und Karl R. Höller, 35. Jahrgang, Heft 2/2002.
Lars Rademacher
Rezension
Mike Sandbothe hat eine pragmatische Medienphilosophie geschrieben, die zur Grundlegung einer neuen Disziplin im Internet-Zeitalter beitragen soll. Das ist ein hoher Anspruch, der gegenwärtig nicht von vielen Denkern eingelöst werden kann. Es lohnt sich, diesen Ansatz zunächst durchzubuchstabieren. Warum überhaupt Medienphilosophie? Der Komplexität der Relation von konstruktiver oder rekonstruktiver Potenz der Medien wurden trotz der vielfältigen medientheoretischen Aufarbeitungsversuche bislang kaum genügend eigen-komplexe Theorien gegenübergestellt – und wenn doch, dann unter einem Blickwinkel, den Sandbothe „theoretizistisch“ nennt. Damit meint der Autor ein Theorieverständnis, das „die theoretische Reflexion auf Möglichkeitsbedingungen der Erzeugung von Sinn und der Konstitution von Wirklichkeit“ als akademischen Selbstzweck betreibt (vgl. S. 12).
Dem setzt Sandbothe eine pragmatische Medienphilosophie gegenüber, die man von ihm als Rorty-Schüler auch erwartet hätte. Im Mittelpunkt steht dabei die „pragmatische Dienstleisterfunktion“ der Philosophie, von der Kant noch gewusst habe, und die sich in der Folge geradezu aufgerieben habe in einem „fast schon konfessionell anmutenden Streit zwischen Medienrealisten und Medienkonstruktivisten“. Die Rückkehr zum Pragmatismus, die nicht nur Richard Rorty in den letzten Jahren vorangetrieben hat, stellt der Autor in den Kontext einer allgemeinen Renaissance des philosophischen Pragmatismus, der allein als probater Ausweg aus den Aporien gegenwärtiger Theoriediskussion erscheint.
Schon dieser Anspruch, in der akademischen Disziplin der Philosophie endlich wieder eine Rückbindung an das praktische Handeln zu finden, kann nur begrüßt werden. Dennoch darf nicht vergessen werden, das bei aller Hochschätzung eines pragmatischen Zugangs das Fach Philosophie als ganzes noch mehr zu bieten hat als Sprachphilosophie (linguistic turn) und praktische Philosophie, deren angloamerikanische Variante der Pragmatismus genau genommen darstellt.
Warum Grundlegung? Weil Sandbothe – in wohltuendem Kontrast zu vielen Fachkollegen – nicht darauf verfallen ist, das Thema Medienphilosophie gewissermaßen ansatzlos in den Kontext der Medienwissenschaft (wo es ohnehin noch kein kohärentes Theoriezentrum gibt) zu stellen. Vielmehr entwickelt er seine Medienphilosophie in den beiden Eingangskapiteln direkt aus der aktuellen Situation der akademischen Philosophie – und macht Medienphilosophie gerade dadurch erst systematisch anschlussfähig an die akademische Mutterdisziplin. Dass der Autor damit nicht ein Denkgebäude vorstellen will, sondern lediglich einen „Bauplan“ für selbiges ausrollt, spricht für die Vorsicht, mit der er zu Werke geht.
Diesen Bauplan konkretisiert Sandbothe in den nachfolgenden Kapiteln auf das Internet hin, das er unter Rückgriff auf Marshall McLuhans Terminologie unter pragmatischen Aspekten auslotet. Darauf aufbauend, behandelt Sandbothe Derridas Dekonstruktion, die ihm als Exponent und Vordenkerposition des theoretizistischen Denkens gilt: „Derridas Medienphilosophie darf als (in seinem Reflexionsniveau bisher kaum wieder erreichtes) Paradigma für die Vielzahl der unterschiedlichen medientheoretischen Konzepte gelten, die gegenwärtig diskutiert werden.“ (S. 103) Das Spektrum reicht dabei für Sandbothe von „Friedrich Kittlers Medienmaterialismus“ über die systemtheoretischen und konstrukti-vistischen Medientheorien von Niklas Luhmann und Siegfried J. Schmidt „bis hin zu einem breiten Feld von Autoren, die Peter Koch und Sybille Krämer unter dem Stichwort einer 'medienkritischen Wende in den Geisteswissenschaften' vereint sehen.“ (S. 104)
In einem abschließenden Kapitel unter der Überschrift „Pragmatisierung des common sense“ geht der Autor den Weg seiner pragmatischen Medienphilosophie konsequent weiter, indem er die relevanten Felder der Medienökonomie und des Medienmanagement sowie der Medienpädagogik als praktische Anschlussfelder der Medienphilosophie positioniert und als Ausblick mit der Frage nach einer „Experimentellen Medienepistemologie“ abschließt. Sandbothes Habilitationsschrift, die hier in überarbeiteter Form vorliegt, weist ihren Verfasser nicht nur als einen der wenigen intensiven Kenner der Materie aus, der in der Lage ist, die frei schwebenden Theorien zusammen zu denken und ihnen endlich eine wissenschafts-theoretische und -historische Heimat zu geben. Das Buch ist für die weitere Diskussion ein Datum, an dem für geraume Zeit niemand vorbei kommen dürfte, der zum Thema Medienphilosophie arbeitet. Der Titel „Grundlegung“ trifft.
Sandbothe, Mike: Pragmatische Medienphilosophie. Grundlegung einer neuen Disziplin im Zeitalter des Internet. Weilerswist: Velbrück Wissenschaft 2001; 276 S., 24,50 €.