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Gesendet in: "Studiozeit – Aus Kultur- und Sozialwissenschaften", Deutschlandfunk, 17.2.2011, 20.10 Uhr. [Audio on Demand]

Peter Leusch

Der Intellektuelle und das Netz

Eine Tagung am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen 

Autor:

„J’accuse!“ – „Ich klage an!“ Mit diesen Worten der Empörung wandte sich der französische Schriftsteller Emile Zola an den Staatspräsidenten in einem offenen Brief, der am 13. Januar 1898 in der Presse erschien. Zola klagte die französische Justiz und das Kriegsministerium an, den jüdischen Hauptmann Dreyfuß zu Unrecht wegen Landesverrats verurteilt zu haben.

Zola bezahlte sein mutiges Eintreten für Wahrheit und Gerechtigkeit mit einer Gefängnisstrafe, vor der er nach England fliehen musste. Doch in der Zeitung wurde mit jedem Tag die Unterschriftenliste länger, auf der sich Wissenschaftler, Künstler, Ärzte und Anwälte, aber auch einfache Leute in einem so genannten ‚Manifest der Intellektuellen’, mit Zolas Anklage solidarisierten.

1898 schlug die Geburtstunde des Intellektuellen, jener neuen Gestalt auf der politischen Bühne, der die Öffentlichkeit wachrüttelt und sich mit den Mächtigen anlegt.

 

O-Ton, Mike Sandbothe:

Wenn man von Zola ausgeht, gehört es zu dem Image des klassischen Intellektuellen, sich so weit vorzuwagen, dass man für die Wahrheit auch seinen Kopf riskiert, das ist das Modell Zola, und heute ist das das Modell Wikileaks und Julien Assange, der hat genau dies tatsächlich gemacht unter Einsatz der neuesten Medienentwicklungen bis hin zu den neuesten Hackertechnologien, die z. T. notwendig werden, denn ihm werden die Dinge nicht einfach so zugetragen von Whistle-Blowern, sondern da sind Leute, die sich gezielt in Systeme einhacken und ihm die Informationen zuspielen, die Quellen sind nicht wirklich transparent, auf die er zurückgreift.

 

Autor:

Mike Sandbothe, Medienphilosoph und freier Autor in Hamburg, betont, dass der Intellektuelle nicht nur Wissen und Urteilskraft braucht, sondern auch Zivilcourage, weil er sich an einer Grenze bewegt. Julien Assanges Vorgehen ist umstritten, Zolas öffentliche Anklage war es ebenso, sie spaltete über Jahre hinweg die französische Nation.

Damals wie heute ist der Intellektuelle über ein Medium in besonderer Weise verbunden mit der Öffentlichkeit, so Claus Leggewie, Politikwissenschaftler und Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts in Essen. Denn zur Figur des Intellektuellen gehört eine Matrix:

 

O-Ton, Claus Leggewie:

Im Grunde genommen ist er Teil eines Dreiecks, er hat eine unabhängige Existenz als Intellektueller, er hat als Resonanzboden die Öffentlichkeit, und er hat ein Gegenüber, das ist die Macht, in unterschiedlicher Form, ob das wirtschaftliche, politische, kulturelle Macht ist.

Und in dieser Eigenschaft kann er dann gewissermaßen die Öffentlichkeit aufrütteln - es gibt diesen berühmten Satz von de Gaulle in Bezug auf Sartre - „Einen Voltaire verhaftet man nicht.“ - die ihn immun macht und auch als moralische Instanz für eine Nation an die Stelle setzt.

 

Autor:

Aber in diesem Zusammenspiel von Intellektuellem, Medium und Öffentlichkeit scheinen im digitalen Zeitalter Veränderungen eingetreten. Zwar gibt es weiterhin das Sprachrohr Zolas - die Zeitung - aber wie der Volksaufstand in Ägypten zeigt, ist das Internet mit seinen neuen Kommunikationsformen, mit Facebook, Blogs und Twitter vielleicht schon wichtiger geworden als die Printmedien. Und dabei stellt sich auch die weitere Frage, ob nicht das klassische Modell des Intellektuellen als Individuum, als Einzelstimme abgelöst wird durch das soziale Netzwerk, die kollektive Verständigung.

 

O-Ton, Mike Sandbothe:

In Ägypten haben wir dieses Beispiel, dass da die Kooperation über Facebook eine ganz wichtige Rolle gespielt hat, und zugleich braucht man aber auch für die Massenmedien eine massenmedientaugliche Persönlichkeit wie diesen El Baradei, der auch im Kontext der Atomkontrolle schon gezeigt hat, dass er seinen Mann stehen kann und sich nicht korrumpieren lässt. Beides ist wichtig: die sozialen Netzwerke - das ist die Innovation unserer Zeit, das ist die Kraft des 21. Jahrhunderts - aber es gibt auch immer die intellektuelle Kraft des Einzelnen, … es gibt kleine und große Intellektuelle, und das ganze Gefüge zusammen ergibt die Bewegung der Geschichte.

 

Autor:

Das Internet führt nicht nur zu einer Verlagerung der intellektuellen Aktivität - von den Printmedien in die digitalen Kanäle - das Internet ist Spiegel und zugleich Motor einer Globalisierung, in der die nationalen Scheuklappen wegfallen und sich der Blick öffnet. Die Themen erhalten wie von selbst internationales Format, ja sie sind über Staatsgrenzen und Kontinente hinweg buchstäblich ansteckend. Claus Leggewie:

 

O-Ton, Claus Leggewie:

Das Netz ist global, die digitale Kommunikation ist per se, auch wenn sie teilweise sehr lokal ausgerichtet ist, global - das Wort Ägypten wird in China im Moment gefiltert, und das ist ein Hinweis darauf, dass das was in Ägypten passiert, auch für China relevant ist, genau wie für Italien, ich glaube auch Berlusconi würde am liebsten das Wort Ägypten filtern. Denn auch für Berlusconi ist das, was in Ägypten passiert sehr gefährlich.

 

Autor:

Claus Leggewie schlägt auf der Tagung vor, beim Wandel intellektueller Aktivität drei Aspekte näher zu untersuchen. Diskutiert wird über Medium, Thematik und Publikum - entlang der Hypothesen: Beim Medium gibt es ein Trend von den Printmedien hin zum Netz,

beim Publikum von der nationalen zur globalen Öffentlichkeit, und bei den Inhalten weg von alten Rechts-Links-Debatten hin zu einer Vielfalt von Themen wie Demokratie, Menschenrechte und Klimawandel.

Die Frage nach dem Verhältnis von Intellektuellen und Medium beschäftigt am intensivsten:

Jens Hacke, Politikwissenschaftlicher vom Hamburger Institut für Sozialforschung, fürchtet künftig um die Qualität der intellektuellen Reflexion, die er bei den klassischen Printmedien besser aufgehoben glaubt.

 

O-Ton, Jens Hacke:

Natürlich ist intellektuelle Kommunikation im gewissen Sinne auch elitäre Kommunikation, man spricht als Repräsentant für viele andere und maßt sich natürlich eine Rolle an, die über Basiskommunikation hinausgeht, insofern braucht der Intellektuelle ein Publikum das ihn versteht, das vorgebildet ist und das auf einem angemessenen Niveau die Dinge des Gemeinwesens verhandelt, und da haben wir uns natürlich an den Umstand gewöhnt, dass das in der quality-press, in den überregionalen Tageszeitungen stattfindet, oder im Fernsehen oder eben im Rundfunk.

 

Autor:

Es verwundert ein wenig, dass Jens Hacke hier das Fernsehen zu den Orten rechnet, an denen der Intellektuelle eine adäquate Möglichkeit findet.

Unter den neuen Medien gilt das Fernsehen beinah schon als altes. Ungeachtet der wachsenden Bedeutung des Internets stellt das Fernsehen das gesellschaftliche Leitmedium dar. Und hier verfügen wir über Erfahrungswerte, was die TV-Möglichkeiten des Intellektuellen angeht. Claus Leggewie beurteilt sie sehr skeptisch:

 

O-Ton, Claus Leggewie:

Zwischen dem Intellektuellen und dem Fernsehen gibt es keine wirkliche Liebesgeschichte,

In der Regel ist das Fernsehen ein Dritt-Verwertungsmedium, das bedeutet, man greift auf, was in den Zeitungen stattgefunden hat, und möchte das vom jeweiligem Autor verbunden mit dessen Gesicht nochmals haben, aber dann in 40 Sekunden, und bitte nicht mit Einerseits und Andrerseits, sondern eine klar pointierte These - und das funktioniert bei Intellektuellen meist nicht, und deswegen ist es keine Liebesgeschichte. Ausnahmen bestätigen die Regel.

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