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erschienen in: Neue Zürcher Zeitung vom 14. Juni 2003.

Uwe Justus Wenzel

Was ist Medienphilosophie?

Eine Umfrage in disziplinierender Absicht

Wer vom «Mondflug» spricht, will in aller Regel nichts über die Bewegungsart des Erdtrabanten sagen, sondern, beispielsweise, die Raumkapseln in Erinnerung rufen, die zum Mond geflogen sind. Ähnlich verhält es sich mit dem Ausdruck «Medienphilosophie»: Er lenkt die Aufmerksamkeit auf eine Philosophie, die sich mit Medien beschäftigt - und nicht etwa auf Medien, die Philosophie betrieben. So sollte man meinen. Lorenz Engell jedoch sieht das anders. Der an der Bauhaus-Universität in Weimar tätige Film- und Fernsehwissenschafter kennt philosophierende Medien. Und der erwähnte Mondflug (der konventionell verstandene) gilt ihm als philosophische Selbstoffenbarung des Mediums der Television: der Augenblick, in dem Millionen Fernsehzuschauer - wenn das Erdenrund in den Fokus der Kamera kommt - sich beim Zuschauen selbst zuschauen. Oder doch gleichsam selbst zuschauen.

Möglichkeitsräume

In jenem Moment sei das Medium «reflexiv» geworden, die «fernsehgenerierte» Welt habe ihre eigene Medialität, ihre Vermittlung durch das Medium, erfahren - und damit (Heidegger lässt von ferne grüssen) ihren eigenen Möglichkeitshorizont. «Spätestens» mit diesem Ereignis - mit dem umfassenden Reflexivwerden also - sei das Fernsehen eine «philosophische Apparatur» geworden. An sich sei es das auch schon zuvor gewesen, darf man mutmassen. Der «unscharfe Möglichkeitsraum», den nach Engell jedes Medium eröffne, bietet unbestreitbar auch die Möglichkeit, mit scharfen Argumenten gefüllt zu werden - oder mit spekulativen Phantasien. Wie auch immer: Ein hübscher Kniff ist es gewiss, der Philosophie ihren Namen zu entwenden und ihn einer geschichtsträchtigen technologischen Formation unterzuschieben, als deren frei schwebender Analytiker - als deren Medium? - man sich sodann bescheiden, aber wissend vorstellt.

Von der in den technischen Apparaturen der Medien hausenden «Medienphilosophie» unterscheidet Lorenz Engell die «Philosophen-Philosophie». Das klingt ein bisschen wie «Literaturwissenschafter-Prosa», die eben nicht ganz so echt, nicht ganz so literarisch ist wie die Literatur, von der sie handelt: Was Philosophen tun, wenn sie über Medien schreiben, ist nicht so schön ursprünglich wie das, was Medien «selbst» bereits - nun, was tun Medien, neue zumal, eigentlich? Sie schreiben nicht, auch nicht schöner; sie produzieren, so weiterhin Engell, keine schriftlichen Texte, sie produzieren vielmehr Denkvermögen «und setzen es unter Bedingungen».

Wiederum darf man, zum besseren Verständnis, an den nicht namentlich genannten Heidegger denken, an seine Technikphilosophie. Technik ist danach nicht einfach ein, und dazu neutrales, Mittel; sie ist vielmehr ein Weltverhältnis: Es verhält die Menschen dazu, die Welt in bestimmter Weise zu sehen und zu ihr sich zu verhalten; so nämlich, dass das Wirkliche als Wirksames erscheint, das von ihnen als den bewirkenden Subjekten in Regie genommen sei. In solch technischem Vor- und Herstellen der Welt sind die Menschen ihrerseits «gestellt», weswegen Heidegger, wie es seine Art ist, von dem «Ge-stell» als dem (nichttechnischen) Wesen der Technik spricht. Wie die Menschen, die wähnen, die Welt technisch zu stellen, dabei und darin selbst gestellt sind, so auch konditionieren die Medien das Denken: Der Mensch denkt, das Medium lenkt.

So etwa denkt das Lorenz Engell sich jedenfalls: «In unserer Beschränkung auf das menschliche Sprachprivileg konnten wir immer meinen, wir wären es, die die Welt denken. Medienphilosophie kann zeigen, dass es anders ist.» - Diese Schlusssequenz seines Beitrags zur Klärung des Begriffs «Medienphilosophie», den man neben elf anderen Versuchen in einem kürzlich bei Fischer erschienenen Taschenbuch lesen kann, macht von eben jenem Begriff indes doch einen Gebrauch, der die Spannung zu dem Gegenbegriff der «Philosophen-Philosophie» bereits abgebaut hat: «Medienphilosophie» ist dann bereits etwas, das sich, etwa an der Bauhaus-Universität, lehren lässt.

Disziplin und Projekt

Wenn unter «Medienphilosophie» nicht das «Geschehen» der Medien selbst verstanden wird, sondern die Worthülse für eine mögliche neue philosophische Disziplin, auch - und gerade - dann gilt: Medienphilosophie und Philosophen- Philosophie kommen einander näher. Die Modi der Annäherung sind allerdings, wie die versammelten programmatischen Voten zeigen, vielfältig. Sie fächern sich in einem Spektrum auf, das vom bekannten «immer schon» bis zum auch nicht unbekannten «erst jetzt» reichen: Immer schon habe sich Philosophie mit dem «Problem der Medien» befasst - siehe Platons «Phaidros», siehe Hegels Vermittlungslogik, siehe die Debatten über Realismus und Antirealismus, Repräsentation und Konstruktion usw.; auch die Frage nach ihrer eigenen medialen - sprachlichen, begrifflichen - Verfassung habe die Philosophie von Anbeginn umgetrieben. - Erst jetzt, da die Neuen Medien die Wirklichkeit verändern und die Differenzen zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit, Wirklichkeit und Virtualität, Wirklichkeit und Unwirklichkeit verwischen; erst jetzt, da die Medienwissenschaften sich im Bündnis mit Kultur- und Literaturwissenschaften institutionell etablieren und der Philosophie auch intellektuell die Diskurshoheit streitig machen, wachen die Philosophen auf aus ihrer «Medienvergessenheit».

Was also ist Medienphilosophie? Nicht alle Antworten, die die Herausgeber auf diese ihre Frage bekommen haben, sind so bündig ausgefallen wie diejenige Martin Seels, der sich für das «immer schon» entscheidet: «Medienphilosophie ist eine vorübergehende, aber dennoch eine gute Sache.» Wie die feministische Ethik keine neue Disziplin neben der herkömmlichen Moralphilosophie ausgebildet habe, aber doch ein «Korrektiv» der eingeübten Ethik sei, so bringe auch Medienphilosophie lediglich (und allerdings) einen anderen Blick ins Spiel, einen, der für die Medialität menschlicher Verhältnisse sensibilisiere. Einen eigenen Gegenstand aber könne sie für sich nicht reklamieren, also auch mit keinen genuin neuen philosophischen Problemen aufwarten.

Unter denen, die einem «erst jetzt» zuneigen, herrscht augenscheinlich keine Einigkeit darüber, ob die «medialisierte» Welt nur neue Interpretationen alter philosophischer Probleme erfordere oder aber ehedem gänzlich unbekannte philosophische Probleme hervorbringe. Für die meisten «Neuerer» jedoch, zu denen auch die Herausgeber zählen, scheint eines klar zu sein: Medienphilosophie sollte an der Universität, und zwar innerhalb der Philosophie, angesiedelt werden - ob als Teildisziplin oder gar als «Fundamentaldisziplin». Stellen für stellenlose Philosophen zu schaffen (ein unverächtliches Anliegen), kann freilich nicht die letzte Destination eines Neuen Denkens sein, das sich der Gunst eines geschichtlichen Umbruchs verdanken möchte. So strebt denn die Medienphilosophie, noch bevor sie in ihnen den überlebensnotwendigen Halt gefunden hat, über die Grenzen einer Disziplin hinaus. Sie sei, so Frank Hartmann, keine Disziplin, sondern ein - transgressives - «Projekt»; oder, wie Stefan Münker meint, eher eine «Haltung» als ein Fach.

So zeichnet sich noch einmal ab, was bereits bei Lorenz Engell zu registrieren war: «Medienphilosophie» ist auch eine Chiffre der Sehnsucht des Theoretikers, nicht nur Theoretiker zu sein. Wenn er schon nicht Praktiker werden kann, dann will der neue Medienphilosoph wenigstens angeschlossen sein an die vorherrschende Realität; er will, wie es bei Münker heisst, «zukunftskompatibel» bleiben. - Medienphilosophie als Medium der Mediengesellschaft? Es sieht danach aus. Sogar die pragmatisch moderierte Variante, die Mike Sandbote verficht, entwirft Medienphilosophie als eine «Transdisziplin»: als «wissenschaftstheoretische Dienstleister- und medienethische (Aus-)Bildungswissenschaft». Mit diesem spröde formulierten Projekt verbindet sich ausdrücklich die Hoffnung auf «moralischen Fortschritt». - Beinahe sieht man ihn schon am Horizont, den blau-silbernen Streif einer guten neuen Medienwelt.

Medienphilosophie. Beiträge zur Klärung eines Begriffs. Herausgegeben von Stefan Münker, Alexander Roesler, Mike Sandbote. Mit Beiträgen von Martin Seel, Elena Esposito, Lorenz Engell, Sybille Krämer, Barbara Becker, Matthias Vogel, Frank Hartmann, Reinhard Margreiter, Stefan Weber sowie der Herausgeber. Fischer-Taschenbuchverlag, Frankfurt am Main 2003. 224 S., Fr. 22.60.

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