Quelle: http://www.sandbothe.net/695.html
Prof. Dr. Mike Sandbothe
In überarbeiteter Form in englischer Sprache unter dem Titel „Media and Knowledge“ in: Nordicom Review 2/2008 sowie als Online Publikation: sandbothe.net 2008.
Der Lieblingsphilosoph eines meiner Lieblingsphilosophen hat das metaphilosophische Postulat, das einem seiner Hauptwerke zugrunde liegt, einmal dahingehend zusammengefasst, „daß die spezifische Aufgabe, die Probleme und die Thematik der Philosophie aus den Belastungen und Anspannungen im Gemeinschaftsleben erwachsen, in dem eine gegebene Form der Philosophie entsteht, und daß dementsprechend ihre spezifischen Probleme mit den Veränderungen im menschlichen Leben variieren (...)“ (Dewey, Die Erneuerung der Philosophie, Hamburg: Junius 1989, S. 9f). Das Zitat stammt von John Dewey. Sein umstrittener Weiterdenker, Richard Rorty, hat es wie folgt kommentiert: „Die Dewey vorschwebenden Zwänge und Spannungen ergeben sich aus Versuchen, sprudelnde und nach Ausdehnung strebende neue Flüssigkeiten in alte Gefäße zu gießen“ (Rorty, Wahrheit und Fortschritt, 2000, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2000, S. 13).
Etwas konkreter formuliert, besteht der Vorschlag, den die beiden Pragmatisten ihren Kolleginnen und Kollegen unterbreiten, darin, philosophisches Denken nicht nur und nicht primär als theoretische Reflexion auf die Bedingungen der Möglichkeit von Wahrheit, Freiheit und Schönheit zu verstehen. Statt dessen möchten die von mir zitierten Autoren einen Beitrag dazu leisten, neben der philosophieinternen Reflexion, die in professionalisierten Forschungsbereichen wie Ethik, Ästhetik, Logik und Wissenschaftstheorie erfolgreich betrieben wird, eine im aristotelischen Sinn „praktische“ Gestalt philosophischer Arbeit akademisch zu rehabilitieren.
Schon für Aristoteles war klar, dass die Kriterien eines wertvollen und gelingenden Lebens von der praktischen Philosophie nicht begründet, sondern vielmehr vorausgesetzt werden; und zwar nicht als abstrakte Axiome, sondern als historisch vorgegebenes Cluster von Haltungen, Werten und Normen. Dieses Cluster, das Aristoteles mit Blick auf den gebildeten Athener als harmonisches Wechselspiel von ethischen und dianoetischen Tugenden beschrieben hat, fungiert in der praktischen Philosophie nicht so sehr als theoretischer Erkenntnisgegenstand, sondern in erster Linie als handlungsorientierender Leitfaden. Ich zitiere aus dem zweiten Buch der Nikomachischen Ethik: „Der Teil der Philosophie, mit dem wir es hier zu tun haben, ist nicht wie die anderen rein theoretisch – wir philosophieren nämlich nicht, um zu erfahren, was ethische Werthaftigkeit sei, sondern um wertvolle Menschen zu werden.“ (Aristoteles, Nikomachische Ethik, Buch 2, 1103b 26ff, Stuttgart: Reclam 1969, S. 36). Und Aristoteles fügt hinzu: „Sonst wäre dieses Philosophieren ja nutzlos.“ (ebd.).
Der sich gegenwärtig vollziehende Übergang von den typografisch und audiovisuell geprägten Industriegesellschaften der Vergangenheit zu den multimedial und synästhetisch ausgerichteten Medienkulturen der Zukunft fordert nicht nur die theoretischen Konzepte und etablierten Paradigmen philosophischen Denkens heraus, sondern hat zugleich metaphilosophische Implikationen. So lautet jedenfalls die forschungsleitende Arbeitshypothese, die ich im folgenden entfalten möchte.
Meine Überlegungen gliedern sich in drei Teile. Im ersten Teil werde ich zunächst etwas zum aktuellen Stand der erkenntnistheoretischen Debatte sagen, die in der zeitgenössischen Philosophie unter der Überschrift „Realismus versus Antirealismus“ geführt wird. Der zweite Teil analysiert vor diesem Hintergrund die sich derzeit formierenden unterschiedlichen Ansätze einer erkenntnistheoretisch inspirierten Philosophie der Medien. Im dritten und letzten Teil schließlich wird es um die Frage gehen, wie eine philosophische Thematisierung des Verhältnisses von Medien und Erkenntnis aussehen könnte, die sich nicht allein am Leitfaden eines theoretischen, sondern darüber hinaus am Leitfaden eines (im aristotelischen Sinn) praktischen Philosophieverständnisses orientiert.
Die von Michael Dummett so genannte Debatte um Realismus und Antirealismus steht im Zentrum der zeitgenössischen Erkenntnistheorie. Das gilt nicht nur für den Bereich der analytischen, sondern auch für den Bereich der kontinentalen Philosophie. Die Kontroverse bezieht sich einerseits auf Fragen nach dem ontologischen Status von Wahrnehmungsgegenständen, Zahlen, Werten oder mentalen Zuständen, und sie bezieht sich andererseits auf die Frage nach dem Status wahrer Aussagen. Der Sache nach geht die erkenntnistheoretische Beschäftigung mit diesen Fragen zurück bis auf Descartes und Kant. Ihr historischer Entstehungshintergrund besteht in dem für die Philosophie der Moderne charakteristischen Bestreben, die Wirklichkeit der Wirklichkeit und die Wahrheit unserer Überzeugungen auf säkulare Weise, d.h. ohne Rückgriff auf göttliche Instanzen sicherzustellen.
Sowohl realistische als auch antirealistische Erkenntnistheorien versuchen Waffen gegen den radikalen Zweifel zu schmieden, der für die Position des Skeptikers charakteristisch ist. Diese Position besagt, dass es möglicherweise vieles gibt, von dem wir nichts wissen, und dass das meiste oder sogar alles, was wir wissen, ganz anders sein könnte als wir meinen. Um die Zweifel des Skeptikers zu zerstreuen, führen Realisten und Antirealisten jeweils unterschiedliche Überprüfungsverfahren ins Feld, mit deren Hilfe sich wahre, falsche und sinnlose Überzeugungen zuverlässig identifizieren und voneinander abgrenzen lassen sollen. Die Unterschiedlichkeit der Überprüfungsverfahren ergibt sich dabei aus der Unterschiedlichkeit der Bereiche, die mittels dieser Überprüfungsverfahren zueinander ins Verhältnis gesetzt werden.
Realistische Überprüfungsverfahren beziehen sich auf das Verhältnis, das zwischen einer einzelnen Überzeugung oder einem Set von Überzeugungen und dem Bereich der so genannten Nichtüberzeugungen besteht. Dabei differieren die realistischen Positionen hinsichtlich der Frage, ob und wie die Welt der Nichtüberzeugungen im einzelnen zu bestimmen sei. Antirealistische Überprüfungsverfahren umgehen dieses Problem, indem sie die Wahrheit einer Überzeugung nicht durch den Bezug auf etwas Nichtüberzeugungshaftes zu bestimmen versuchen, sondern durch den Rekurs auf überzeugungskonstitutive Schemata, die unseren Überzeugungen als deren formale Möglichkeitsbedingungen eingeschrieben sein sollen. Dabei differieren die antirealistischen Positionen hinsichtlich der Frage, ob und wie sich Kategorien, Schemata und Erkenntnisregeln von einfachen Überzeugungen und komplexen Überzeugungsnetzwerken unterscheiden und als eigenständiger Bereich erkenntnistheoretischer Forschung ausweisen lassen.
Das Besondere und Interessante am aktuellen Stand der Debatte um Realismus und Antirealismus besteht darin, dass innerhalb der Philosophie das Bewusstsein für die Pattsituation zunimmt, die zwischen realistischen und antirealistischen Positionen besteht. Das Patt ergibt sich aus dem Sachverhalt, dass die Maßstäbe, auf die realistische und antirealistische Überprüfungsverfahren rekurrieren, gleichermaßen unterbestimmt sind. Während sich die Realisten darüber streiten, ob und wie ein Bereich außerhalb unserer Überzeugungen als neutraler Maßstab für deren Überprüfung ausgewiesen werden kann, stellt sich für die Antirealisten u.a. das bereits vom späten Wittgenstein beschriebene Regressproblem. Es besteht darin, dass für die Anwendung überzeugungskonstitutiver Regeln auf höherstufige Schemata zurückzugreifen ist, für die sich jedoch das gleiche Anwendungsproblem stellt, das dann wiederum durch Metaregeln zu lösen ist und so weiter ad infinitum.
Eine ganze Reihe von Autorinnen und Autoren hat aus dieser Pattsituation die Konsequenz gezogen, sich die erkenntnistheoretische Ausgangsfrage noch einmal genauer anzuschauen. Dabei lassen sich zwei Grundstrategien unterschieden. Die eine besteht darin, den Kampf gegen den Skeptiker aufzugeben und sich die skeptische Position statt dessen produktiv anzueignen. Diese Strategie wird von Philosophen wie z. B. Odo Marquard in Deutschland oder Peter Heintel in Österreich mit jeweils unterschiedlicher Zielsetzung verfolgt. Die andere Grundstrategie setzt demgegenüber darauf, den Zweifel des Skeptikers weder zu bekämpfen noch zu teilen, sondern ihn einfach nicht ernst zu nehmen. Diese Strategie wird von Kontextualisten, Interpretationisten und Pragmatisten auf jeweils unterschiedliche Art und Weise realisiert.
Anders als Kontextualisten wie Michael Williams geht es Interpretationisten wie Donald Davidson nicht darum, das Thema „Erkenntnis“ als ein für den Kontext des gesunden Menschenverstandes vermeintlich irrelevantes Thema einfach ad acta zu legen. Statt dessen plädiert Davidson in der Nachfolge von Quine für die Entwicklung von externalistisch argumentierenden Varianten des erkenntnistheoretischen Diskurses. Das zentrale Argument seiner darauf basierenden Widerlegung des Skeptikers besteht darin, dass die meisten unserer Überzeugungen qua Überzeugungen wahr sind. Das hat Davidson zufolge mit der Art und Weise zu tun, wie Menschen auf einer sehr rudimentären Ebene in einer triadischen Interpretationssituation lernen, die Überzeugungen zu haben, die sie haben.
Die von Davidson beschriebene Spracherwerbssituation ist durch ein Kind, einen ihm das Sprechen beibringenden Erwachsenen und eine gemeinsame Umwelt konstituiert. Das Kind wird im Vollzug des Spracherwerbs darauf konditioniert, das, was der Erwachsene sieht, so zu sehen und so zu bezeichnen, wie es der Erwachsene tut. Es erlernt insofern kein abstraktes Sprachschema, sondern wird mit Mitteln kausaler Sanktionierung in eine Reihe sprachlich interpretierter Wahrnehmungssituationen eingeführt.
Aus interpretationistischer Sicht basiert das Netzwerk von Überzeugungen, das wir auf dieser Grundlage erwerben, daher keinesfalls auf einer abstrakten Repräsentationsbeziehung zwischen Sprache und Gegenstand, die dann vom Skeptiker problematisiert werden könnte. Statt dessen liegt Davidson zufolge unserer sprachlichen Interaktion ein sozial verankertes Netz kausaler Verknüpfungen zugrunde, die zwischen dem Inhalt und den innerweltlichen Ursachen unserer einfachsten Überzeugungen bestehen.
Eine sozialhistorische Rekonstruktion der aktuellen Diskurssituation legen die Pragmatisten nahe. Sie weisen darauf hin, dass den klassischen erkenntnistheoretischen Fragen zwar im Prozess der Säkularisierung eine wichtige emanzipatorische Funktion zukam, diese Funktion in durchsäkularisierten Gesellschaften jedoch immer mehr zurücktritt. Daraus leiten sie ihren metaphilosophischen Ratschlag ab, dass der philosophische Blick für diejenigen neuen Grundfragen sensibilisiert werden sollte, die für das öffentliche Selbstverständnis der in Entstehung befindlichen globalen Mediengesellschaft des 21. Jahrhunderts von zentraler Bedeutung sind.
Dem neuen Forschungsfeld der Medienphilosophie, das sich derzeit international formiert, kommt sowohl innerhalb der Fachphilosophie als auch mit Blick auf die sich derzeit immer enger miteinander vernetzenden medien-, kommunikations- und informationswissenschaftlichen Nachbardisziplinen eine wichtige Katalysatorfunktion zu. Die intradisziplinäre Relevanz einer medienphilosophischen Fachabteilung wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, wie die erkenntnistheoretische Debatte unter medienphilosophischen Vorzeichen in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre weitergedacht worden ist. Sybille Krämer und Martin Seel haben in diesem Zusammenhang die Ansicht vertreten, dass sich die erkenntnistheoretische Pattsituation durch Rekurs auf einen philosophisch ausbuchstabierten Begriff von Medien bzw. Medialität zugunsten einer der beiden Seiten entscheiden lasse.
In ihrer Einleitung zu dem von Sybille Krämer 1997 zusammen mit Peter Koch herausgegebenen Band Schrift, Medien, Kognition. Über die Exteriorität des Geistes zeigen sich Krämer/Koch im Anschluss an Niklas Luhmann davon überzeugt, dass „alles, was über die Welt gewusst, gedacht, gesagt wird, (...) in Abhängigkeit von Medien wißbar, denkbar, sagbar (wird)" (Peter Koch und Sybille Krämer, "Einleitung", in: Schrift, Medien, Kognition, hrsg. von Peter Koch und Sybille Krämer, Tübingen: Stauffenburg 1997, S. 12). Daraus folgerte sie, dass die überzeugungskonstitutiven Schemata menschlicher Erkenntnis nicht selbst überzeugungshaft seien, sondern unseren Geist als materielle Artefakte programmieren und daher die von Wittgenstein beschriebene Regressproblematik unterlaufen. Das Problem dieser vermeintlichen Lösung besteht jedoch darin, dass wir von Medien unterschiedlichen Gebrauch machen können, und es nicht die Medialität des Mediums als solche, sondern eben dieser Gebrauch ist, der sich auf unsere epistemischen Praktiken auswirkt.
Etwa zur gleichen Zeit hat Martin Seel versucht, „die Rede von ‚Medialität’ so weit wie irgend sinnvoll möglich auszudehnen, um dann zu zeigen, daß sie mit einem moderaten philosophischen Realismus kompatibel ist“ (Martin Seel, "Medien der Realität und Realität der Medien", in: Medien-Computer-Realität, hrsg. von Sybille Krämer, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1998, S. 249, Anm. 7). Seine Strategie bestand dabei darin, „radikalen und operativen Konstruktivisten, Dekonstruktivisten, Interpretationisten und anderen emphatischen Anti-Realisten (...) so weit wie möglich entgegenzukommen – um ihnen dann einen realistischen Strick zu drehen“ (Seel, in: Krämer, 1998, S. 249f, Anm. 7). Seels Gegenmantra zum zitierten Krämer-Slogan liest sich wie folgt: „Die These lautet nicht, daß alles, was ist, medial vermittelt ist. Medial vermittelt ist vielmehr alles, wozu wir ein vernehmendes oder vornehmendes Verhältnis haben (...)“ (Seel, ebd., S. 250).
Ähnlich wie Krämer geht auch Seel von Luhmann aus. Dessen Medienbegriff zufolge handelt es sich bei Medien um Unterschiede, die Unterschiede machen, d.h. um lose gekoppelte Elemente, die zu fest gekoppelten Formen verbunden werden können. Dabei kann eine solche Form ihrerseits wiederum als Medium für die Generierung höherstufiger Formen fungieren und ein Medium seinerseits als Form eines ihm zugrunde liegenden einfacheren Mediums interpretiert werden. Ein beliebtes Beispiel ist das Verhältnis von Lauten, Worten, Sätzen und Texten. Einerseits fungieren Worte als Medium, in dem Sätze als Formen gebildet werden, die dann ihrerseits als Medium der Generierung von Textformen dienen. Andererseits lassen sich Worte selbst als Formen verstehen, die im Medium der Laute gebildet werden, das seinerseits als Form auf noch einfachere Medien wie das Medium der Geräusche oder das Medium des Rauschens zurückverweist.
Die realistische Pointe von Seels Überlegungen besteht nun darin, dass er das Spiel der medialen Differenzen zwar bis in den Bereich unserer sinnlichen Wahrnehmungsmedien hinein zurückverfolgt, zugleich aber hervorhebt, dass alles Wahrnehmen und Erkennen gerade in seiner strukturellen Medialität etwas voraussetzt, das unsere Wahrnehmungs- und Erkenntnismedien gewissermaßen von innen her transzendiert. Im Anschluss an John McDowell geht Seel davon aus, dass das (beider Ansicht nach) grundlegende Medium menschlicher Erkenntnis – die Sprache – so strukturiert sei, dass wir uns ohne sie zwar auf nichts intentional beziehen können, zugleich aber alles, worauf wir uns in ihr beziehen, von der Sprache selbst als sprachunabhängiger Gegenstand vorausgesetzt wird.
Seels medienphilosophische Leistung besteht zum einen in der Übertragung dieses McDowellschen Gedankens von der Sprache auf den gesamten Bereich unserer Wahrnehmungs- und Erkenntnismedien und zum anderen in der Verteidigung des sich daraus ergebenden moderaten Realismus gegen die These, dass die Digitalisierung unserer technischen Verbreitungsmedien seine Grundlagen ins Wanken bringen könnte. Seels Abwehrstrategie basiert dabei auf der folgenden Überlegung. Ich zitiere: „Die mediale Revolution macht keine erkenntnistheoretische Revolution nötig. Im Gegenteil: Wir können sie als die mediale Revolution, die sie historisch gesehen ist, nur begreifen, wenn wir in erkenntnistheoretischen Angelegenheiten auch im Global Village die Kirche im Dorf lassen“ (Seel, ebd., S. 261).
Das philosophische Argument, das Seel zur Umsetzung dieser Strategie ins Feld führt, rekurriert auf den von ihm vorausgesetzten Sachverhalt, dass der „integrierte Computer“ – so nennt Seel das Internet und den Bereich der digitalen Medien – „wesentlich auch ein Bildmedium ist“ (Seel, ebd., S. 263). Als Erkenntnismedium ist das Bildmedium Seel zufolge ähnlich strukturiert wie das Sprachmedium. Das bedeutet: seine innere Struktur setzt den Verweis auf eine außermediale Realität voraus. Anders formuliert: Wir verstehen ein Bild nur dann als Bild, wenn wir es als Zeichen für etwas Nichtzeichenhaftes interpretieren. In dieser dialektischen Argumentationsfigur erkennen wir unschwer den McDowellschen Grundgedanken wieder, der dem moderaten Realismus von Seel zugrunde liegt und von ihm auf den verschiedenen Ebenen der medienphilosophischen Diskussion immer wieder zur Anwendung gebracht wird. Was Seel dabei nicht ausreichend berücksichtigt, ist die von Autoren wie Brandom und Davidson an McDowell geübte Kritik.
Brandoms einfacher Einwand lautet, dass der sprachimmanente Verweis auf etwas Sprachunabhängiges nicht notwendig als eine Wesenbestimmung von Sprache selbst zu interpretieren ist. Aus Brandoms Sicht sollten wir die Objektivität der Bezugnahme vielmehr als eine intersubjektive Verpflichtung verstehen, auf die wir uns im Kontext eines in sozialen Praktiken eingespielten Sprachgebrauchs implizit festgelegt haben. Daraus folgt: Wenn sich die sozialen Praktiken ändern, kann sich auch diese Festlegung ändern und durch eine Festlegung anderer Art ersetzt werden.
Einen konkreten Vorschlag für eine solche Veränderung hat Davidson gemacht. Seiner Ansicht zufolge sollten wir die intersubjektive Verbindlichkeit unserer sprachlichen Bezugnahmen in Zukunft weder durch den Verweis auf ein sprachimmanentes Schema noch durch den Verweis auf einen sprachunabhängigen Inhalt abzusichern versuchen – und zwar ganz losgelöst von der Frage, ob uns die Sprache selbst oder bestimmte soziale Praktiken bisher auf diesen sprachunabhängigen Inhalt verwiesen haben oder nicht.
Die medienphilosophischen Konsequenzen, die sich aus Davidsons Vorschlag ergeben, hat Matthias Vogel in seinem Buch Medien der Vernunft. Eine Theorie des Geistes und der Rationalität auf Grundlage einer Theorie der Medien (Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2001) systematisch zu entfalten versucht. Vogels Überlegungen bewegen sich jenseits der von Seel und Krämer geführten Debatte um Medienrealismus und Medienkonstruktivismus. Dementsprechend führt der Autor gleich zu Beginn seines Buchs vor Augen, dass es sich bei der Medium-Form-Differenz, die Seel und Krämer auf unterschiedliche Art und Weise von Luhmann übernehmen, um nichts anderes als eine systemtheoretisch ausbuchstabierte Variante des erkenntnistheoretischen Dualismus von Schema und Inhalt handelt.
Begreift man die Erzeugung von Sinn jedoch mit Davidson interpretationistisch als „Internalisierung zunächst externer sozialer Interpretationsprozesse“ (Matthias Vogel, "Medien als Voraussetzungen für Gedanken" in: Medienphilosophie. Beiträge zur Klärung eines Begriffs, hrsg von Stefan Münker, Alexander Roesler und Mike Sandbothe, Frankfurt a.M.: Fischer 2003, S. 118), d.h. als Selbstzuschreibung eines Verstehensprozesses, der dem Modell des Verstehens anderer folgt, dann verändert sich das Design der theoretischen Ausgangslage: die funktionalistische Beschreibung eines vorausgesetzten komplexen Systems lose oder fest gekoppelter Zeichenelemente wird durch die (mit erheblich weniger Voraussetzungen belastete) empirische Untersuchung einfacher und für den natürlichen Spracherwerb grundlegender Interaktionssituationen ersetzt.
Geht man von der triangulativen Spracherwerbssituation aus, die im ersten Vortragsteil bereits kurz skizziert wurde, dann zeigt sich Vogel zufolge, dass der Erwerb sprachlicher Kommunikationspraktiken die intuitive Beherrschung nichtsprachlicher Kommunikationspraktiken erfordert. Damit sich das Kind diejenigen Überzeugungen, die der Erwachsene in Bezug auf die gemeinsame Umwelt artikuliert, selbst zuschreiben und damit die Umwelt wie der Erwachsene wahrnehmen lernen kann, muss das Kind bereits über eine Fähigkeit des Bezugs auf eigene Reaktionen verfügen und in der Lage sein, die Ursache der Reaktion des Erwachsenen als Gehalt seiner eigenen Reaktion zu identifizieren. Dieser vorsprachliche Selbstbezug entwickelt sich Vogel zufolge auf der Grundlage „mimischer, gestischer, prosodischer, lautmalerischer und anderer expressiver Mittel“ (Vogel, ebd., S. 124), die von den elterlichen Bezugspersonen in der Interaktion mit dem Kind und von diesem dann wiederum zur Strukturierung seines eigenen Erlebens verwendet werden.
Vor dem Hintergrund solcher Überlegungen stellt Vogel im Fortgang seines Buchs die eigenständige Bedeutung heraus, die nichtsprachlichen Medien wie Bild, Tanz und Musik unter interpretationistischen Bedingungen zukommt. So zeigt er am Beispiel des ästhetischen Denkens, welches uns durch die Künste ermöglicht wird, dass nichtsprachliche Medien gewissermaßen sprachanalog als soziale Instrumente zu verstehen sind, die zur „Individuierung oder Kommunikation von Gedanken“ (Vogel, ebd., S. 133) dienen. Der solchermaßen um die Dimensionen des Nichtsprachlichen und des Künstlerischen erweiterte Begriff des Geistes wird von Vogel jedoch bewusst auf den Bereich der Wahrnehmungs- und Kommunikationsmedien begrenzt. Außen vor bleiben dabei die technischen Verbreitungsmedien. Dieser Ausschluss markiert eine grundlegende Differenz, die zwischen interpretationistischen und pragmatistischen Medienphilosophien besteht.
Aus der Sicht des medienphilosophischen Pragmatisten sind unsere Wahrnehmungs- und Kommunikationsmedien nämlich darüber hinaus auch zu den kulturellen Gebrauchsbedingungen in Beziehung zu setzen, die durch die historisch jeweils unterschiedlich prämierten Verbreitungs-, Verarbeitungs- und Speichertechniken geschaffen werden. Raum und Zeit, das Gefüge unserer Sinnesorgane, Bild, Sprache, Tanz, Theater und Musik, aber auch Schrift und Zahl sind, was sie sind, nicht unabhängig von den technischen Verbreitungsmedien, die das Spektrum ihres Gebrauchs abstecken.
In seinen berühmten Vorlesungen von 1907 hat William James das Verhältnis des Pragmatismus zu philosophischen Theorien, die sich miteinander im akademischen Wettstreit befinden, folgendermaßen beschrieben: „Der Pragmatismus nimmt allen Theorien ihre Steifheit, macht sie geschmeidig und lässt jede arbeiten. (...). Er hat keine Dogmen und keine Lehre (...). Der Pragmatismus liegt (...) in der Mitte unserer Theorien wie ein Korridor in einem Hotel. (...). Alle müssen ihn passieren, wenn sie einen praktikablen Weg in ihre Zimmer oder aus denselben brauchen“ (William James, Der Pragmatismus. Ein neuer Name für eine alte Denkmethode, Hamburg: Meiner 1977, S. 34).
Selbstverständlich schließt James’ Korridormetapher nicht aus, dass manche Theoretiker es vorziehen, aus dem Fenster zu steigen oder einfach in ihren Zimmern zu bleiben und sich alles Lebensnotwendige an ihren Schreibtisch bringen zu lassen. Es bedeutet nur, dass der einfachste Weg von der theoretischen zur praktischen Philosophie – versteht man letztere im aristotelischen Sinn – über den Korridor des Pragmatismus führt. In diesem ganz liberalen und entspannten Sinn möchte ich nun abschließend das Verhältnis von Erkenntnistheorie, Medienphilosophie und Medienpraxis skizzieren. Zu diesem Zweck werde ich die Grundhaltung des medienphilosophischen Pragmatismus durch vier ausgewählte Eigenschaften zu charakterisieren versuchen.
Die erste dieser Eigenschaften besteht darin, dass sich der medienphilosophische Pragmatist als Initiator und Moderator des Gesprächs versteht, das die erkenntnistheoretisch orientierten Medienphilosophinnen und Medienphilosophen miteinander führen. Die zweite Eigenschaft kommt in seiner Neigung zum Ausdruck, den intradisziplinär geführten Diskurs auch inter- und transdisziplinär nutzbar zu machen. Dieser disziplinenübergreifenden Orientierung kommt in der aktuellen Situation, in der sich die Geisteswissenschaften zunehmend medien- und kulturwissenschaftlich reorganisieren, besondere Bedeutung zu.
Darüber hinaus ist mit Blick auf die Wissenschaftslandschaft insgesamt zu konstatieren, dass wir derzeit nicht nur in den Medien- und Kulturwissenschaften, sondern auch in den Sozial-, Technik- und Naturwissenschaften eine antirealistische bzw. konstruktivistische Gegenbewegung zum lange Zeit vorherrschenden realistischen Hintergrundparadigma erleben. Angesichts dieser Lage besteht die forschungsökologische Aufgabe einer in James’ Sinn pragmatistisch orientieren Medienphilosophie darin, den allenthalben verkündeten Neuorientierungen, die von der linguistischen oder ikonischen Wende über kulturalistische und performative Wenden bis hin zum so genannten „media turn“ reichen, philosophisch gut begründete Alternativen entgegenzustellen.
Die dritte Eigenschaft des medienphilosophischen Pragmatismus kommt darin zum Ausdruck, dass er auch zur Frage der Auszeichnung bestimmter Einzelmedien oder bestimmter Mediensorten gegenüber anderen Einzelmedien bzw. Mediensorten eine ausgleichende und gegensteuernde Position einnimmt. Im Zentrum einer pragmatistisch orientierten Medienphilosophie steht der systematische Versuch, die komplexen Zusammenhänge, die zwischen Wahrnehmungsmedien wie Raum, Zeit und den Sinnesorganen, Kommunikationsmedien wie Bild, Sprache, Schrift, Musik, Tanz und Theater und Verbreitungsmedien wie Körper, Stimme, Buchdruck, Fernsehen und Internet bestehen, in einer medienökologisch ausgewogenen Art und Weise zu analysieren.
Um die vierte und letzte Eigenschaft des medienphilosophischen Pragmatismus in den Blick zu bringen, lassen Sie mich bitte noch einmal James zitieren: „Endgültig siegreich wird diejenige Art der Weltbetrachtung sein, die auf die normalen Geister den stärksten Eindruck macht“ (James, ebd., S. 24). Bezieht man diesen Hinweis auf die aktuelle Debatte, dann kommt ein Praxisbezug medienphilosophischen Denkens in den Blick, der über die innerakademische Vernetzung noch hinausweist und zugleich einen Wirkungszeitraum eröffnet, der durch erheblich längere Fristen gekennzeichnet ist. Medienphilosophischen Pragmatistinnen und Pragmatisten kommt die Eigenschaft zu, Theorien nicht nur darauf hin zu beurteilen, wie sie sich im innertheoretischen Diskurs bewähren. Statt dessen stellen sie sich darüber hinaus zugleich auch die antizipative Frage, welche Theorie wohl welche Chancen haben könnte in popularisierter Form zu einem intuitiven Bestandteil desjenigen Vokabulars zu werden, mit dessen Hilfe sich die Mitglieder einer Gesellschaft beschreiben und verständigen.
Unter digitalen Medienbedingungen hat sich die Geschwindigkeit weiter erhöht, mit der sich unsere Vokabulare verändern. Bereits die Ausbreitung des Buchdrucks im 18. und die Etablierung der elektronischen Medien im 19. und 20. Jahrhundert haben in dieser Hinsicht zu einem Beschleunigungsschub geführt, der sich im 21. Jahrhundert nicht nur verstärkt, sondern zugleich auch globalisiert. Nimmt man den eingangs erwähnten Grundgedanken der aristotelischen Ethik ernst, dann besteht die genuine Leistung einer praktischen Philosophie der Medien heute in der konkreten Auseinandersetzung mit der Frage, wie wir neue Formen medienbasierter kollektiver Intelligenz entwickeln können. Denn dieser wird es bedürfen, um diejenigen Werte und Normen, die für demokratische Gesellschaften kennzeichnend sind, nicht nur zu bewahren, sondern auch und gerade im globalen Maßstab konsequent weiterzuentwickeln und immer besser umzusetzen.