Quelle: http://www.sandbothe.net/383.html
Prof. Dr. Mike Sandbothe
erschienen in: Systematische Medienphilosophie, hrsg. von Mike Sandbothe und Ludwig Nagl, Berlin: Akademie Verlag 2005.
Im deutschen Sprachraum hat sich die Medienphilosophie in den letzten Jahren als neues transdisziplinäres Forschungsfeld entwickelt (Fietz 1992, Hartmann 2000, Sandbothe 2001, Vogel 2001, Münker/Roesler/Sandbothe 2003, Margreiter 2004). Dessen spezifische Signatur beschreiben Christian Filk, Sven Grampp und Kay Kirchmann in ihrem einschlägigen Forschungsreferat wie folgt: „Die verstärkt seit Mitte der 1990er Jahre virulente Intonierung einer ‚Medienphilosophie‘ nimmt sich [...] als heteronomes Diskursgefüge aus, das nicht nur seiner diskursiven und wissenschaftshistorischen, sondern letztlich sogar seiner disziplinären Einordnung noch harrt“ (Filk/Grampp/Kirchmann 2004, S. 39). Die sich mit diesem Sachverhalt verbindende intellektuelle Offenheit und methodologische Beweglichkeit der neuen Forschungsformation kommt in den Beiträgen zum vorliegenden Band deutlich zum Ausdruck.
Darüber hinaus verbindet die Autorinnen und Autoren das gemeinsame Interesse , die Signatur von Medienphilosophie auch innerdisziplinär weiter zu schärfen. Von den Herausgebern waren sie darum gebeten worden, „sich mit der Frage nach den Medien aus einer dezidiert philosophischen Perspektive zu befassen“ (Sandbothe/Nagl 2003). Selbstverständlich haben die zweiundzwanzig Autorinnen und Autoren, die wir für diese Aufgabe gewinnen konnten, darunter jeweils etwas anderes verstanden. Das liegt nicht allein und nicht primär daran, dass sie unterschiedliche Fächer studiert haben bzw. unterrichten. Die Frage „Was ist Philosophie?“ ist vielmehr querlaufend zu den im Band vertretenen Disziplinen (Medien- und Kommunikationswissenschaft, Bild- und Filmwissenschaft, Tanz- und Theaterwissenschaft, Philologie, Philosophie und Soziologie) sehr unterschiedlich aufgefasst und beantwortet worden.
Zugleich ist zu konstatieren, dass sich bei aller Vielfalt der metaphilosophischen Optionen doch ein Bindeglied im Philosophieverständnis der Beiträgerinnen und Beiträger auffinden lässt. Die Gemeinsamkeit besteht darin, dass die Autorinnen und Autoren aus der Perspektive der von ihnen jeweils vertretenen Fächer und mit Blick auf die leitende Frage nach den Medien das Verhältnis des Argumentativen zum Nichtargumentativen, des Darstellbaren zum Undarstellbaren, des Kontextsensiblen zum Kontextfreien thematisieren und individuell austarieren. Indem sie dies tun, erfüllen sie für die zeitgenössische Medienforschung genau diejenige Aufgabe, die Richard Rorty einmal als „die wichtigste soziale Funktion“ (Rorty 2000, S. 40) der Philosophie bezeichnet hat. Sie besteht darin, „das Pendel in Schwung zu halten“ (ebd., S. 41), das sich zwischen dem reformatorischen Verlangen nach einer schönen Rekonstruktion oder gelungenen Neuerfindung unserer Vokabulare und dem erhabenen Wunsch bewegt, aus diesen Vokabularen radikal auszubrechen.
Sowohl das oben zitierte Forschungsreferat als auch der ein Jahr zuvor von Dieter Mersch zum Thema vorgelegte Literaturbericht (Mersch 2003) heben die diskursökonomische Balanceleistung der Medienphilosophie hervor. Unabhängig voneinander kommen die beiden Überblicksartikel zu dem Ergebnis, dass die entscheidende Leistung der neuen Forschungsformation darin bestehe, ein Korrekturpotential zur Verfügung zu stellen, mit dessen Hilfe sich die aktuelle medientheoretische Diskurslage dynamisieren lässt. Deren momentane Arretierung und spezifische Statik wird von Mersch als „ein Medialismus, ein Medienidealismus“ beschrieben, „insofern zwar in Medien das materiale Prinzip einer Konstitution von Wirklichkeit, Erkenntnis, Kommunikation, Subjektivität und dergleichen gesehen wird, es selbst sich aber einer systematischen Grundlegung verweigert“ (Mersch, ebd., S. 201).
Eben diese Problematik wird mit etwas anderen Worten auch in dem Forschungsreferat von Filk/Grampp/Kirchmann markiert. Zugleich aber gehen die drei Autoren einen Schritt weiter, indem sie das „Korrekturpotential für [...] Philosophie und Medienwissenschaft [...] nach beiden Seiten hin profilieren: als ‚Wiedereinschreibung des Geistes in die Medienwissenschaft‘ und als ‚Einführung des Materiell-Technischen in die Philosophie“ (Filk/Grampp/Kirchmann 2004, S. 57). Vor dem Hintergrund dieser doppelten Vermittlungsaufgabe der Medienphilosophie haben jüngst auch Alice Lagaay und David Lauer die aktuelle Diskurslage in den Blick genommen. In der Einleitung zu dem von ihnen herausgegebenen Sammelband Medientheorien. Eine philosophische Einführung strukturieren sie das Feld der zeitgenössischen Medientheorien entlang der Frage, „wie sie das Verhältnis der Medien zum Nicht-Medialen [konzipieren]“ (Lagaay/Lauer 2004, S. 24).
Diese Leitfrage spezifiziert das oben im Rekurs auf Rorty schon erwähnte Bindeglied im Philosophieverständnis, durch das auch die Autorinnen und Autoren des vorliegenden Bandes miteinander vernetzt sind. Ihnen ist gemeinsam, dass sie das Verhältnis der Medien zum Nichtmedialen weder zugunsten eines kulturwissenschaftlichen „Medienapriorismus“ (Lagaay/Lauer, ebd., S. 25) noch zugunsten eines geisteswissenschaftlichen „Medienmarginalismus“ (ebd., S. 24) vereinseitigen wollen. Stattdessen geht es in den Beiträgen zur Systematischen Medienphilosophie darum, anhand der Situierung einzelner Medien im Kontext ihrer transmedialen Verflechtungsverhältnisse aufzuzeigen, wie sich die Spannung zwischen den beiden von Lagaay und Lauer erwähnten „ideelle[n] Polen“ (ebd., S. 24) produktiv austragen lässt.
In seinem Vorwort hat Ludwig Nagl den systematischen Aufbau des vorliegenden Bandes zu einem Lieblingsgedanken des späten Wittgenstein in Beziehung gesetzt. Dieser besagt, dass die Bedeutung eines Wortes sein Gebrauch in der Sprache sei (Wittgenstein 1984, S. 262, Nr. 43). Sobald man diesen pragmatistisch klingenden Slogan auf „Medium“ bzw. „Medien“ anwendet, wird die metatheoretische Unterscheidung zweifelhaft, die im Fachdiskurs zwischen „Einzelmedienontologien“ (Leschke 2003, S. 73) und „generelle[n] Medientheorien“ (ebd., S. 161) gemacht wird. Methodisch liegt dieser Trennung das Vorhaben zugrunde, eine vermeintlich ‚allgemeine‘ Bedeutung des Medienbegriffs unabhängig von seinen konkreten Verwendungsweisen zu analysieren. Ein solches Vorgehen erscheint aus Wittgensteinscher Perspektive als kontraproduktiv. Das gleiche gilt für den komplementären Versuch, die konkreten Verwendungsweisen des Medienbegriffs losgelöst von den zwischen ihnen bestehenden Familienähnlichkeiten, d. h. außerhalb des komplexen Beziehungsgefüges zu erforschen, das die Einzelmedienbegriffe miteinander verbindet.
Aus diesem Grund ist der Aufbau des vorliegenden Buchs nicht allein additiv bzw. historisch organisiert. Sein Inhaltsverzeichnis enthält darüber hinaus einen Vorschlag, wie sich das Gefüge der ausgewählten Medien systematisch strukturieren lässt. Dieser Vorschlag kommt darin zum Ausdruck, dass der Gegenstand der Systematischen Medienphilosophie in die drei folgenden Rubriken unterteilt ist:
1. Sinnliche Wahrnehmungsmedien,
2. Semiotische Informations- und Kommunikationsmedien,
3. Technische Verbreitungs-, Verarbeitungs- und Speichermedien.
Mit Blick auf diese Unterteilung hat Michael Giesecke in seinem Beitrag die Frage gestellt, ob es sich dabei um einen „Vorschlag für eine Typologie der Medien“ oder um den Entwurf einer „dreidimensionale[n] Theorie des Objekts“ (Giesecke, im vorliegenden Band, S. 47) handelt. Sicherlich ließe sich die von uns im transformativen Anschluss an Luhmann (vgl. u. a. Luhmann 1997, S. 190 ff.) verwendete medienphilosophische Dreiersystematik für beide Zwecke einsetzen. Gemäß der im vorliegenden Zusammenhang bestimmenden Übersichtsfunktion jedoch dient die Gliederung in Wahrnehmungs-, Kommunikations- und Verbreitungsmedien in erster Linie dem gebrauchstheoretischen Zweck, die derzeit vorherrschenden Verwendungsweisen und Zuordnungspraktiken ohne Anspruch auf Vollständigkeit in eine hypothetische Ordnung zu bringen.
Die Autorinnen und Autoren haben dieses Projekt auf jeweils unterschiedliche Art und Weise aufgegriffen und umgesetzt. So befassen sich Götz Großklaus und Ralf Beuthan in ihren Beiträgen mit der Frage, wie sich Raum und Zeit als gegenstandskonstitutive Medien sinnlicher Wahrnehmung durch die historisch variierenden Verflechtungsverhältnisse beschreiben lassen, die sie kulturell mit unterschiedlichen semiotischen und technischen Medienumwelten eingehen. Im Rückgriff auf Cassirer zeigt Großklaus, wie der Raum im Lauf der Mediengeschichte von seiner mythisch-qualitativen Orientierung am Leitmedium des Leibes zunehmend (aber nie ganz) abgelöst wird. Das geschieht durch Umcodierungsprozesse, die sich unter den symbolisch prägenden Bedingungen der „epochalen (Leit)Medien Sprache (oral, narrativ), Schrift (chirographisch – typographisch) und Bild (magisch, mythisch, religiös, ästhetisch/manuell-technisch)“ (Großklaus, im vorliegenden Band, S. 5) vollziehen.
Im Anschluss an Großklaus, der in seinen Untersuchungen zur „kognitiven Kartographie“ (ebd., S. 8) so etwas wie eine „Basiskarte jeder (bisherigen) in Europa gültigen kulturellen Orientierung im Raum“ (ebd., S. 10) skizziert, geht es Beuthan um die Hinterfragung des einer solchen Karte zugrunde liegenden „Schema[s] von Innen/Außen“ (Beuthan, im vorliegenden Band, S. 28). In der Dekonstruktion dieses Schemas sieht Beuthan die medienphilosophisch zentrale Leistung des „Begriff[s] der Medialität“, wie er von Derrida „mit den Termini différance und Spur“ (ebd., S. 29) entwickelt worden ist. Dabei handelt es sich um eine „den funktionalen Verhältnissen“, wie sie in den Medientheorien von McLuhan bis Bolz und Kittler untersucht werden, „vorausgehende und sie ermöglichende Prozessualität“ (ebd., S. 32). Von dieser her denkend stellt Beuthan die im aktuellen Mediendiskurs weit verbreitete Voraussetzung in Frage, dass die Mediengeschichte als Abfolge epochaler Leitmedien zu konzipieren sei.
Darin folgt ihm Michael Giesecke. Im Unterschied zu Beuthan jedoch stützt sich dieser zur Begründung seines mehrdimensionalen Ansatzes nicht auf quasi-transzendentale Überlegungen einer Philosophie der Medialität. Stattdessen bewegt sich die von ihm exponierte Medienphilosophie der Sinne im Kontext einer empirisch ausgerichteten Ökologie artverschiedener Systeme. Dabei handelt es sich um Information, Kommunikation und Medien als miteinander auf komplexe Weise vernetzten Objektbereichen einer zeitgemäßen Kulturwissenschaft. Aus deren Perspektive stellt sich der Mensch als ein Informations- und Kommunikationssystem dar, dessen sensorische Wahrnehmungsmedien sich gegenüber denen anderer Tiere insbesondere durch ihre Multimedialität und Synästhesie auszeichnen.
Das sensible Wechselspiel unserer fünf bzw. sechs Sinne (inklusive des kinästhetischen) ist Giesecke zufolge in der europäischen Mediengeschichte durch Abspaltung und Hierarchisierung der verschiedenen Sensoren destabilisiert worden. Während in den hinduistischen Kulturen Indiens eine „Prämierung der nonverbalen leiblichen Ausdrucksformen“ (Giesecke, im vorliegenden Band, S. 55) und im Japan der Edo-Zeit die „Wahrung des Gleichgewichts zwischen Medien und Sinnen“ (ebd., S. 58) im Vordergrund gestanden habe, sei es im neuzeitlichen Europa einerseits zu einer „Kopplung von Visuellem und Akustischem“ und andererseits zu einer „Entkoppelung von Visuellem und Taktilem“ (ebd., S. 57) gekommen. Letzteres hat Giesecke zufolge zu einer „Trennung von Handeln und Wahrnehmung“ (ebd., S. 58), ersteres zu einer bis heute wirksamen Prämierung der Fernsinne gegenüber den Nahsinnen geführt.
Auf das medienästhetische Ungleichgewicht, das für moderne Industrie- und Wissenschaftskulturen charakteristisch ist, reagiert Barbara Becker in ihrem Beitrag. Dieser befasst sich mit den historisch benachteiligten, kulturell unterentwickelten und akademisch vernachlässigten Nahsinnen. Besonderes Augenmerk richtet die Autorin dabei auf den von ihr als grundlegenden „Kontaktsinn“ (Becker, im vorliegenden Band, S. 72) interpretierten Bereich der taktilen Wahrnehmung. Diesen beschreibt sie im Rückgriff auf Merleau-Ponty und Waldenfels als „pathische Sinnesmodalität“ (ebd., 73), die durch den „Chiasmus von Berührendem und Berührtem“ (ebd., S. 72) gekennzeichnet sei. Darin spiegele sich, so Becker weiter, eine zwar allen unseren Sinneserfahrungen zugrunde liegende, in der Berührung aber besonders deutlich hervortretende „Asymmetrie, die dazu führt, dass entgegen allen Intentionen der oder das Andere niemals völlig erreicht wird“ (ebd., S. 73).
Indem Becker derart das „Moment des Unexplizierbaren“ (ebd., S. 65) in der menschlichen Sinneserfahrung betont, akzentuiert sie im Verhältnis der Medien zum Nichtmedialen den letztgenannten Aspekt. Das kommt auch darin zum Ausdruck, dass sie „unter Medien vorrangig jene Instanzen [fasst], die eine Distanzierung von der leiblich-sinnlichen Erfahrung der Welt implizieren“ (ebd., S. 66). Zugleich vermeidet Becker jedoch den von Lauer und Lagaay kritisierten „Medienmarginalismus“ (Lagaay/ Lauer 2004, S. 24). So führt sie am Beispiel von Photographinnen und Photographen wie Meiselas, Salgado und Nachtwey vor Augen, dass „ein spezifischer Medienumgang [...] denkbar [ist], der sich einbinden lässt in den Chiasmus von Leib und Welt“ (Becker, im vorliegenden Band, S. 78).
Als verbindendes Grundthema der Systematischen Medienphilosophie wurde eingangs die Frage nach dem Verhältnis des Argumentativen zum Nichtargumentativen, des Darstellbaren zum Undarstellbaren, des Kontextsensiblen zum Kontextfreien genannt. Die vier Beiträge, die sich mit Raum, Zeit, Fern- und Nahsinnen als menschlichen Wahrnehmungsmedien befassen, sind nicht nur in der Einzellektüre sondern auch in ihrem Wechselbezug von diesem Bindeglied her interpretierbar. So wird der Pendelschwung zwischen schöner Neuerfindung und erhabener Unterwanderung des Medienvokabulars von Großklaus und Giesecke zugunsten der ersten Bewegungsrichtung gestärkt, während Beuthan und Becker ihr Schwergewicht auf den erhabenen Gegenschwung legen. Gemeinsam ist allen vier Beiträgen, dass sie die Medialität des menschlichen Selbst- und Weltbezugs von ihren sinnlichen Dimensionen her, d. h. als Aisthesis erschließen.
Im Unterschied dazu akzentuieren die acht folgenden Autorinnen und Autoren, die sich mit den Informations- und Kommunikationsmedien befassen, einen anderen Aspekt im komplexen Gefüge der miteinander vernetzten Medienwelten. Im Brennpunkt ihrer Analysen steht nicht so sehr die Wahrnehmungsdimension, sondern vielmehr die zwischenmenschliche Verständigungsqualität medialer Prozesse. Was darunter zu verstehen ist, versucht Peter Janich in seinem einleitenden Beitrag zur Medienphilosophie der Kommunikation zu klären. Aus der Perspektive des von ihm mitbegründeten Methodischen Kulturalismus macht er deutlich, dass das „vorherrschende Verständnis von Kommunikation als Austausch von Informationen“ (Janich, im vorliegenden Band, S. 92) problematisch ist. Die auf Shannon und Weaver zurück gehende mathematische Modellierung des Verhältnisses von Nachrichtenquelle, Sender, Kanal, Empfänger und Nachrichtenziel sei durch die „Defekte des naiven Realismus, Formalismus und Kausalismus“ (ebd., 94) gekennzeichnet. Diese gründen Janich zufolge in dem Sachverhalt, dass das nachrichtentechnische Sender-Empfänger-Modell von einer dualen Struktur (Zeichen/Bezeichnetes – Interpretant) ausgeht und nicht von einem triangulativen Verhältnis (Zeichen/Bezeichnetes – Zeichennutzer/Sprecher – Interpretant/Hörer).
In seinem nichtreduktionistischen Gegenentwurf geht es dem Methodischen Kulturalisten darum, Kommunikation von ihrer pragmatischen Funktion her als Instrument zur „Vorbereitung des Handelns, allgemeiner: der Kooperation“ (ebd., S. 90) zu rekonstruieren. Janich orientiert sich dabei am „Normalfall sprachlichen Kommunizierens“ (ebd., S. 89) und zeigt am Beispiel eines fingierten Dialogs, wie die methodische Ordnung unseres alltagssprachlichen Handelns über die Zweck-Mittel-Rationalität hinaus auf die normative Frage nach der Rechtfertigung unserer Handlungsziele verweist.
Diesen Ansatz erweitert Mathias Gutmann in seinem Beitrag zur Medienphilosophie des Körpers. Er nutzt die Überlegungen Janichs, um auf ihrer Grundlage auch die nichtsprachlichen Kommunikationsverhältnisse zu beschreiben, in denen wir als körperliche Wesen stehen. Zu diesem Zweck grenzt er den kulturalistischen Körperbegriff von den Theorien Husserls und Plessners ab, die den menschlichen Leib substantivierend als etwas auffassen, das Individuen zugeschrieben wird. Stattdessen schlägt Gutmann vor, die Substantive Leib und Körper als Platzhalter für die adjektivische Rede von „‚körperlichen‘ oder ‚leiblichen‘ Verhältnissen“ (Gutmann, im vorliegenden Band, S. 101) zu verstehen. Diese wiederum sind dem Autor zufolge nicht im introspektiven Selbstverhältnis, sondern im Kontext „gemeinsame[r] Tätigkeit“ (ebd., S. 101), d. h. im zwischenmenschlichen Bereich alltäglichen Handelns zu situieren.
Ähnlich wie Janich und Gutmann vertritt auch Dieter Mersch in seinem Beitrag ein triangulatives Konzept von Kommunikation. Im Unterschied zu den Methodischen Kulturalisten argumentiert er jedoch nicht handlungs- und gebrauchstheoretisch, sondern ereignisphilosophisch. Aus seiner Sicht ist das von Pragmatisten, Sprechakttheoretikern und Methodischen Kulturalisten verfolgte Projekt, „eine systematische Theorie des Performativen“ (Mersch, im vorliegenden Band, S. 120) zu entwickeln, zum Scheitern verurteilt. Alternativ schlägt er vor, die „systematische Undarstellbarkeit“ (ebd., S. 123) des Vollzugscharakters performativer Akte ernst zu nehmen.
Für die Medienphilosophie der Sprache bedeutet das, „Sprache als Kommunikation“ (ebd., S. 124) nicht vom Sprecher, sondern vom Hörer her zu untersuchen. Damit verbindet sich bei Mersch ein Übergang „vom Denken des Medialen zum Denken des Antwortens“ (ebd.). Die pragmatische Intention des Sprechers werde durch das im Rekurs auf Lévinas zu verstehende „Gewicht des Anderen“ (ebd.) dezentriert. Das kommunikative Geschehen erhalte so „eine nichtintentionale Note“ (ebd., S. 122). Durch diese, so Mersch weiter, werde „gleichzeitig die Frage der Medialität unterlaufen und der Medienphilosophie der Sprache eine unwiderrufliche Grenze auferlegt“ (ebd.).
Die vermeintliche Uneinholbarkeit des Ereignisses der Kommunikation richtet das Pendel der Philosophie an seinem erhabenen Pol aus. Es reagiert damit auf den komplementären Sachverhalt, dass Sprache und Schrift als prägende Medien der Moderne für die konzeptuelle Schönheit geschlossener Vokabulare besonders empfänglich sind. Das wird im Beitrag von Christian Stetter deutlich. Anders als Janich, Gutmann und Mersch akzentuiert dieser den Bereich der semiotischen Medien nicht primär von seiner kommunikativen Funktion her. Stattdessen geht es Stetter in erster Linie um den informativen Wert der von ihm so genannten „symbolisierenden Performanzen“ (Stetter, im vorliegenden Band, S. 133), die er als solche definiert, „in denen irgendwelche Bedeutung, Repräsentation oder Information erzeugt wird“ (ebd., S. 131).
Als Ausgangspunkt seiner Medienphilosophie der Schrift dient dem Autor eine begrifflich strenge Unterscheidung zwischen Medien und Mitteln einerseits sowie zwischen Medium und Kompetenz andererseits. Im Unterschied zu Mittel und Zweck gelte für „Medium und Mediatisiertes“, dass diese „zusammen ein einziges Ereignis [bilden], genau eine Performanz, nicht verschiedene“ (ebd., S. 130). Das Gelingen dieser Performanz sei dabei nicht allein von den Eigenschaften des Mediums abhängig, sondern auch und vor allem von der Kompetenz des Mediennutzers. Aus diesem Grund habe sich die linguistische Untersuchung des Sprachmediums seit Chomsky auf die grammatische Kompetenzanalyse konzentriert. Das zu verändern sei Aufgabe einer schriftphilosophisch grundierten Sprachforschung, die sich nicht am kommunikativen Gelingen des medialen Verfahrens, sondern an diesem selbst als Prozess semiotischer Sinnerzeugung ausrichtet.
In seinen Ausführungen stützt sich Stetter auf Nelson Goodmans Symboltheorie und auf Derridas Grammatologie. Beiden sei die medienphilosophische Grundeinsicht gemeinsam, dass „das abstrakteste mediale Artikulationsprinzip“ in der „Erzeugung von Zeichen aus willkürlichen Differenzen opaken Materials“ (ebd., S. 144) bestehe. Dieses Prinzip, so Stetter weiter, komme zwar erst in der Alphabetschrift zu sich selbst, sei aber bereits in der gesprochenen Sprache angelegt und gelte darüber hinaus für „jegliche Art symbolisierender Performanzen“ (ebd., S. 133), also auch für ephemere und bewegte Medien wie Musik und Tanz. Die besondere Auszeichnung des persistenten und starren Mediums der Schrift bestehe jedoch darin, dass ihm im Unterschied zu den letzteren „jede genuine, auf seinen medialen Eigenschaften beruhende Nähe zur Emotionalität“ (ebd., S. 135) abgehe.
Auch für Lambert Wiesing tritt die kommunikative, zwischenmenschliche und damit immer auch emotionale Dimension der Informations- und Kommunikationsmedien hinter ihre Darstellungsfunktion zurück. In seinen Überlegungen zur Medienphilosophie des Bildes unterscheidet er anthropologische, semiotische und wahrnehmungstheoretische Ansätze der zeitgenössischen Bildforschung. Diesen sei gemeinsam, dass sie die Binnenstruktur von Bildern am Leitfaden der „Dreiteilung ‚Darstellung-Dargestelltes-Darstellendes‘“ (Wiesing, im vorliegenden Band, S. 153) analysieren. Unterschiede zwischen den drei Ansätzen ergeben sich Wiesing zufolge daraus, dass sie das Phänomen des Bildes jeweils anderen Oberbegriffen zuordnen: den menschlichen Artefakten, den Zeichen bzw. den sichtbaren Gegenständen.
Unentschieden bleibt der Autor hinsichtlich der Frage, ob die Medienphilosophie des Bildes als ein eigenständiger, vierter Ansatz zu verstehen ist oder nicht. Denn: „Bilder als Medien zu erforschen, ist […] solange problematisch, wie man nicht weiß, was ein Medium ist“ (ebd., S. 158). Daher beschränkt sich Wiesing darauf, die medienphilosophische Analyse als „Spezifizierung“ (ebd., S. 159) innerhalb des von ihm selbst vertretenen wahrnehmungstheoretischen Ansatzes durchzuführen. Um es nicht „bei der gleichermaßen wichtigen, aber auch allgemeinen Feststellung [zu] belassen“, dass jedes Bild „eine besondere Sichtbarkeit ist“ (ebd.), unterscheidet Wiesing vier mediale Typen reiner Sichtbarkeit: die starre Sichtbarkeit des Tafelbildes, die bewegte des Films, die manipulierte der Animation und die interaktive der Virtuellen Realität.
Die Spannung, die zwischen informations- bzw. darstellungstheoretischen und dezidiert kommunikationstheoretischen Medienphilosophien besteht, wird im Beitrag von Matthias Vogel in Bezug auf die Musik weiter entfaltet. So unterscheidet der Autor zwei Sorten von Medienphilosophie der Musik. Die eine verfolgt die „Strategie einer epistemologischen Aufladung der Musik“, die andere interpretiert Musik im Rahmen einer „Analyse ästhetischer Kommunikationsprozesse“ (Vogel, im vorliegenden Band, S. 164). Die Grenzen des epistemologischen Paradigmas zeigt Vogel am Beispiel von Adorno und Goodman auf, die Stärken des ästhetisch-kommunikativen Modells anhand von Dewey.
Das Medium der Musik dient aus Vogels Perspektive weder primär der Darstellung äußerer Sachverhalte noch allein dem Ausdruck innerer Erfahrungen. Denn „musikalische Gedanken“ (ebd., S. 163) haben darüber hinaus immer auch eine kommunikative Dimension. Das liegt daran, dass Musik – wie jedes Medium (in dem von Vogel exponierten handlungstheoretischen Sinn) – auf „transindividuelle[n] Strukturen“ (ebd., S. 175) basiert, die sich aus der sozialen Etablierung des Mediums ergeben. Unsere musikalische Erziehung ist in eine synästhetische Interaktionspraxis eingebettet, die „interpretative Kompetenzen vermittelt, indem in ihr musikalische Äußerungen mit mimischen, gestischen, tänzerischen, prosodischen, aber auch sprachlich beschriebenen Interpretationen korreliert werden“ (ebd., S. 177).
Die vielfältigen Dimensionen dieses „medialen Spiels, [das] […] in frühen Formen der affektuellen Kommunikation verwurzelt ist“ (ebd., Anm. 36), kehren in ästhetisierter Gestalt im Medium des Tanzes wieder. Im Unterschied zu Sprache, Schrift und Bild handelt es sich bei diesem – so Gabriele Klein in ihrer Medienphilosophie des Tanzes – um ein „Kommunikationsmedium, [das] immer auch ein Medium kinästhetischer Wahrnehmung“ (Klein, im vorliegenden Band, S. 183) ist. Als ein solches enthalte der Tanz einerseits ein „utopisches Potenzial“ (ebd., S. 186), fungiere aber andererseits und zugleich als kulturelles Disziplinierungsinstrument. Die in dieser Doppelfunktion zum Ausdruck kommende „Ambivalenz“ (ebd., S. 185) spiegelt sich Klein zufolge in dem Sachverhalt, dass die spezifische Medialität des Tanzes erst vor dem transmedialen Hintergrund der „(un)heimlichen Allianzen zwischen Tanz und neuen […] Medien“ (ebd., S. 181) offensichtlich wurde. In den künstlerischen Formen von motion capturing und computer animated dancing habe die Informatisierung und Digitalisierung des Tanzes dessen scheinbar natürlichen Körperbezug in Frage gestellt.
Ähnlich wie Klein in ihrer historischen Rekonstruktion der „Tanz-Moderne“ (ebd., S. 187) versucht, das Medium „in seinen repräsentativen und performativen Dimensionen“ (ebd.) zu erfassen, geht es auch Dieter Teichert in seiner Medienphilosophie des Theaters darum, „die Repräsentations- und Darstellungsfunktion der theatralen Zeichen“ (Teichert, im vorliegenden Band, S. 203) nicht zu verabsolutieren. Die von Aristoteles bis Hegel reichende Dominanz des Textmodells des Theaters wird zu diesem Zweck mit dem historischen Sachverhalt konfrontiert, dass die griechische Tragödie ihrem Ursprung nach kein distanziert wahrzunehmendes Kunstwerk, sondern eine interaktive Form der Teilhabe war, „die Musik und Tanz als integrale Bestandteile“ (ebd., S. 207) enthielt. Aufgrund seiner „Pan-Semiotik“ (ebd., S. 203), so Teichert weiter, sei dem Theater darüber hinaus eine metamediale Dimension eigen. Als Medium, das den Zeichengebrauch anderer kultureller Systeme aufgreift und in verfremdender Form „als Zeichen für Zeichen“ (ebd., S. 202) vorführt, integriert und kritisiert das Theater die gesellschaftlich jeweils vorherrschenden Medienverhältnisse.
Die acht Beiträge, die sich mit den semiotischen Informations- und Kommunikationsmedien befassen, lassen sich in drei Gruppen unterteilen. Die erste Gruppe (Janich, Gutmann, Mersch) akzentuiert den kommunikations- und interaktionstheoretischen, die zweite (Stetter, Wiesing) den informations- und darstellungstheoretischen Aspekt der thematischen Medien. Die Vertreter der dritten Gruppe (Vogel, Klein, Teichert) bemühen sich um eine vermittelnde Position. Die von ihnen behandelten Gegenstände Musik, Tanz und Theater werden traditionell eher zu den Künsten als zu den Medien gerechnet. Um zu zeigen, dass die eine Zuordnung die andere nicht ausschließt, arbeiten die Autorin und die beiden Autoren den kommunikationstheoretischen Zusammenhang heraus, der zwischen dem künstlerischen Ausdruck innerer Erfahrungen und der medialen Darstellung äußerer Sachverhalte besteht. Dabei wird deutlich, dass dasjenige, was aus der Perspektive einer audiovisuell geprägten Medienkultur als das Unsagbare (Sprache), das Unbeschreibliche (Schrift) oder das Unsichtbare (Bild) erscheint, häufig auf andere Medienwelten verweist, innerhalb derer es sich synästhetisch kommunizieren bzw. multimedial gestalten lässt.
Damit ist der Grundgedanke formuliert, auf den auch Sybille Krämer in ihrem Beitrag zur Medienphilosophie der Stimme zusteuert. Dieser Text eröffnet die Reihe derjenigen Artikel, die sich mit den technischen Verbreitungs-, Verarbeitungs- und Speichermedien befassen. Es ist keinesfalls selbstverständlich, die Stimme als ein solches zu verstehen. Im Regelfall wird sie eher semiotisch als „Medium von Sprache und Kommunikation“ (Krämer, im vorliegenden Band, S. 222) begriffen. Darin spiegelt sich Krämer zufolge „die Marginalisierung der Lautlichkeit gegenüber der Propositionalität des Sprechens […], durch die Sinn und Sinnlichkeit, Geist und Körper hierarchisiert [...] werden“ (ebd., S. 227). Deshalb geht es der Autorin zunächst einmal darum, die Körperlichkeit der Stimme in ihrer physiologischen Realität als „Stimmapparat“ (ebd., S. 228) in Erinnerung zu rufen: „Ein durch Lungen und Bronchien geformter Luftstrom, der unsere Stimmbänder in Schwingungen versetzt und durch deren Vibration Töne erzeugt“ (ebd.).
In ihrer Rekonstruktion der einschlägigen Arbeiten von Kristeva, Barthes, Mersch, Waldenfels, Meschonnic, Sample und Rotman sowie von deren Vorläufer Nietzsche versucht Krämer, die „Performanz der Stimmlichkeit“ (ebd.) in einem „theoretisch ‚schwachen‘ Sinn“ (ebd.) näher zu erschließen. Neben das bereits beschriebene Merkmal der Körperlichkeit treten dabei ihre Indexikalität, ihre Affektivität bzw. ihr Appellcharakter sowie ihre Aisthetik und ihre Epistemologie. Diese fünf „nicht-hermeneutische[n]“ (ebd., S. 229) Eigenschaften markieren Krämer zufolge die spezifische „Autonomie“ bzw. den „Eigensinn des Stimmlichen“ (ebd., S. 234). Dessen konsequente Berücksichtigung führe, so der Ausblick der Autorin, zu einem erweiterten Konzept von Medialität, in dessen Rahmen der konstitutive Bezug auf ein „Außerhalb des Mediums“ (ebd.) nicht als semiotische Repräsentation geistiger Entitäten, sondern als performative Verkörperung eines anderen Mediums begriffen wird.
Die breitenwirksame Vorherrschaft der von Krämer kritisierten repräsentationalistischen Denkformen führt Reinhard Margreiter in seinem Beitrag auf die Etablierung des Buchdrucks als Massenmedium im 18. und 19. Jahrhundert zurück. Seiner Ansicht nach lassen sich sowohl die positivistische Orientierung an „der objektiven Beschaffenheit der Welt“ (Margreiter, im vorliegenden Band, S. 245) als auch die transzendentalphilosophische Ausrichtung an „einer übergeschichtlich legitimierten konstruktiven Gesetzmäßigkeit des denkenden Subjekts“ (ebd.) als Effekte einer „Hyperbolisierung buchbezogener Erkenntnis- und Wissensideologie“ (ebd.) deuten. Im Rekurs auf McLuhan, Eisenstein, Ong, Kittler, Hartmann und Giesecke zeigt der Autor des weiteren auf, wie das von ihm so genannte System der „typographische[n] Prägnanz“ (ebd., S. 242) nicht nur die moderne Philosophie, sondern auch das methodische Selbstverständnis der neuzeitlichen Wissenschaften mitgestaltet hat. Dabei handelt es sich Margreiter zufolge nicht um einen einfachen Mediendeterminismus, sondern um „ein komplexes Feld wechselseitiger Abhängigkeiten“ (ebd., S. 244), das erst „aus der Optik nachfolgender sowie vorhergehender Medien als eigenständiges Paradigma bewusst [wird]“ (ebd., S. 247).
Die von Margreiter als medienphilosophische Grundformel propagierte Gleichung „Sein = Medialität“ (ebd., S. 241) wird von Bernd Stiegler in seinem Beitrag zur Medienphilosophie der Photographie problematisiert. Seiner Ansicht nach sollte die Medienforschung „ihren Gegenstand nicht zum theoretischen Modell machen“ (Stiegler, im vorliegenden Band, S. 267). Der Preis dafür sei zu hoch; er bestehe nämlich in einer Reduktion der medienhistorischen Komplexität. Das führt der Autor am Beispiel der Arbeiten von Friedrich Springorum und Vilém Flusser vor Augen. In ihren philosophischen Überlegungen zur Photographie hätten beide auf je unterschiedliche Weise ihren Gegenstand auf „das Schema von Oppositionspaaren und einfachen Ordnungen der Repräsentation“ (ebd.) reduziert. Erst Benjamin, Foucault und Roland Barthes sei es demgegenüber gelungen, die Geschichte der Photographie in ihrer inneren Vielfalt zu bezeugen. Diese bewege sich zwischen visueller Arretierung („Aura“) und intermedialem Ereignis („Chock“), zwischen semiotischer Signifikanz und spielerischer Noch-nicht-Zeichenhaftigkeit.
Radikaler noch als Stiegler problematisiert Alexander Roesler die von Krämer und Margreiter nur unterschiedlich umgesetzte Idee, dass die Eigendynamik und (relative) Autonomie des Technisch-Medialen philosophisch von grundlegender Bedeutung sei. Statt von den performativen Dimensionen technischer Medien auszugehen, um mit ihrer Hilfe Grundprobleme und Denkformen der Philosophie zu untersuchen, schlägt Roesler den umgekehrten Weg vor. So stellt er mit Blick auf das Telefon die Frage, „ob man in Abgrenzung und als Lehre aus den bisherigen Philosophien des Telefons eine Medienphilosophie des Telefons nicht ganz anders verstehen muss“ (Roesler, im vorliegenden Band, S. 273). Anhand einschlägiger Fachliteratur führt Roesler vor Augen, dass es sich dabei entweder überhaupt nicht um Philosophie handelt (McLuhan, Flusser) oder das Thema Telefon mehr oder weniger verfehlt wird (Ronell, Derrida). Das darin zum Ausdruck kommende „Grundproblem“ (ebd., S. 281) fasst der Autor wie folgt zusammen: „Begrifflich gibt eine technische Vorrichtung eben nicht viel her“ (ebd.). Daher gelte es, so weiter Roesler, Autoren wie Münker und Nyíri zu folgen, die keine „Philosophie über einen Apparat“ (ebd.) intendieren, sondern „eine Nuancierung in der Beantwortung traditioneller philosophischer Fragen“ (ebd.).
Dass das eine das andere nicht ausschließen muss, versucht Lorenz Engell in seiner Medienphilosophie des Films zu zeigen. In einer Detailanalyse von Orson Welles’ Citizen Kane (1941) führt er vor Augen, wie „Medien und Medienprobleme selbst als – dann eben nicht mehr ausschließlich begriffliche – Aufschlüsselungen, Modelle und Reflexionen dargestellt und darin begrifflich rekonstruiert werden [können]“ (Engell, im vorliegenden Band, S. 283). Während der klassische Film und seine Avantgarde die spezifische Dynamik einer „Verräumlichung der Zeit“ und einer „Verzeitlichung des Raums“ (ebd., S. 287), die durch die technischen Mittel der bewegten Bilder möglich werden, zunächst einfach nur umsetzten, habe mit Citizen Kane die philosophische Reflexion auf das Geschehen des Films selbst und damit die filmische Moderne im eigentlichen Sinn eingesetzt. Die medial realisierte Gedankenleistung, die Welles in seinem Film erbringt, bestehe dabei darin, „die alte Grundfrage der Film-Ontologie [...] nach dem Zugriff des Films auf die Wirklichkeit [...] aus der Mitte des bewegten Bildes selbst heraus“ (ebd., S. 284) zu behandeln.
Wenn freilich gilt (was Krämer und Margreiter nahe legen), dass die (von Engell auf Welles projizierte) repräsentationalistische Grundfrage nach dem Verhältnis von Darstellung und Dargestelltem eng mit der Mediengeschichte von Schrift und Buchdruck verzahnt ist, gerät Engells filmische Erweiterung des Konzepts der Medienphilosophie auf der inhaltlichen Ebene in ein Problem. Dessen Grundzug hat Richard Rorty einmal in Bezug auf die dekonstruktivistische Literaturwissenschaft wie folgt formuliert: „In ihrer Extremform verleitet diese Auffassung die Literaturwissenschaftler dazu, jeden Text so anzugehen, als ‚handle‘ er von den immer gleichen alten philosophischen Gegensätzen: Zeit und Raum, Sinnliches und Intelligibles, Subjekt und Objekt, Sein und Werden, Identität und Verschiedenheit“ (Rorty, 1991, S. 143). Rortys Kritik an diesem Verfahren, die sich relativ leicht auf Engell übertragen lässt, lautet: „Gerade als wir pragmatischen, an Wittgenstein geschulten Therapeuten uns dazu beglückwünschten, der gelehrten Welt die Vorstellung ausgeredet zu haben, dass diese Gegensätze etwas ‚Tiefes‘ darstellen [...], merkten wir, dass all die liebgewordenen ‚Probleme der Philosophie‘ aus dem Lehrbuch als das verborgene Konzept unserer Lieblingsgedichte und
-romane apostrophiert wurden“ (ebd.).
Der vor diesem Hintergrund in den Blick kommende „Gegensatz zwischen theoretizistischen und pragmati(zisti)schen Ansätzen“ (Filk, im vorliegenden Band, S. 301) in der Medienphilosophie wird von Christian Filk in seinen Überlegungen zur Theoriegeschichte des Radios explizit gemacht. Auch Filk nimmt dabei auf Orson Welles Bezug und zwar auf dessen Hörspiel War of the Worlds (1938). Darin sei es gerade nicht darum gegangen, die Repräsentation zu repräsentieren. Stattdessen habe Welles auf der medienpragmatischen Ebene „das wirklichkeitsinszenierende Potenzial des Massenmediums Radio [...] sozusagen in Echtzeit vorgeführt“ (ebd., S. 303). Ins Politische gewendet finde sich der radiotheoretische Medienpragmatismus bei Brecht und Benjamin. Das Ziel der beiden sei es gewesen, das Radio als ein mediales Instrument zu gestalten, mit dessen Hilfe sich die politischen und sozialen Verhältnisse in Richtung einer „auf reziproker Kommunikation beruhenden Gesellschaft“ (ebd., S. 304) verändern lassen sollten. Komplementär dazu, so Filk, hätten die in der „Tradition medienkritischer Rundfunktheorien“ (ebd., S. 307) stehenden Autoren (Adorno, Anders, Arnheim, Horkheimer u. a.) aufgezeigt, wie der potentielle Kommunikationsapparat Radio historisch Schritt für Schritt in eine kulturindustrielle Uniformierungsmaschine transformiert worden ist.
Eine ähnliche Mediendialektik zeichnet Stanley Cavell in seinen Überlegungen zur Tatsache des Fernsehens nach. Seiner Analyse zufolge gilt für den auditiven und für den televisuellen Rundfunk, „dass beide Medien Modi des Sendens und des Kontrollierens sind, d. h. Ströme simultaner Ereignisrezeption“ (Cavell, im vorliegenden Band, S. 336). Das unterscheide sie vom Film. Dessen „materielle Basis“ (ebd., S. 327) bestehe in einer „Abfolge automatischer Welt-Projektionen“ (ebd.) und folge dabei der
ästhetischen Idee des „Genre als Medium“ (ebd., S. 321). Das Fernsehen sei demgegenüber stärker einer seriellen Konzeption des „Genre als Zyklus“ (ebd.) verpflichtet. Ihm gehe es auf der Ebene seiner ästhetischen Konstruktionsprinzipien nicht darum, Welt und Natur sukzessive darzustellen. Stattdessen tendiere es vielmehr dazu, deren Verlust in der seriellen Wiederkehr von Pseudo-Ereignissen anzuzeigen.
Die für das Fernsehen spezifische Ambivalenz tritt Cavell zufolge insbesondere darin hervor, dass das televisionäre Kollektiverlebnis zugleich das Fehlen von Gemeinschaft und Menschlichkeit kompensiert – und zwar dadurch, „dass das, was es präsentiert, zu jeder Zeit live sein könnte“ (ebd., S. 329). Dem entspreche der strukturell grundlegende „Widerstreit“ (ebd., S. 338), der zwischen der Vergänglichkeit der einzelnen Episode und der Wiederholungsstruktur der Serie besteht. Die „Abneigung und [...] Besorgnis [...], die das Fernsehen in gebildeten Kreisen auslöst“ (ebd., S. 339) wird von Cavell als verschobene Angst davor interpretiert, „dass das, was es kontrolliert, die wachsende Unbewohnbarkeit der Welt ist, die unwiderrufliche Umweltverschmutzung“ (ebd., S. 340) Wenn sich diese Verschiebung aufheben ließe, bestehe die Möglichkeit, das Medium in Bezug auf „unsere Lähmung“ (ebd., S. 341) so zu nutzen, dass es uns dabei helfen kann, „etwas Intelligentes gegen deren Ursache auf den Weg zu bringen“ (ebd.). Zu diesem Zweck freilich, so Cavells Ausblick, müsste der Monitor sich dazu aufschwingen, „bessere Gespräche zu präsentieren, [...] nach sinnvollen Zusammenhängen und nach der Schönheit in seinen events [zu] suchen“ (ebd.).
Medienpolitische Utopien dieser Art werden in Bezug auf das Fernsehen heute nur noch selten formuliert. Hinsichtlich der digitalen Medien aber haben sie Konjunktur. Damit setzen sich die drei letzten Beiträge des vorliegenden Bandes auseinander. Sie beziehen sich auf den Computer, das Internet und die Virtual Reality. Die Tendenz zur sozialphilosophischen Überhöhung der medientechnischen Digitalisierung verfolgt Lutz Ellrich in seiner Medienphilosophie des Computers zurück bis zum Kybernetikdiskurs der fünfziger und sechziger Jahre. Den weltanschaulichen Charakter und die politische Naivität einiger Äußerungen von Norbert Wiener und Max Bense konfrontiert er mit der „Engführung der philosophischen Reflexion“ (Ellrich, im vorliegenden Band, S. 348), die sich im Umfeld der KI-Debatte vollzogen hat. Die Fokussierung auf Fragen der Computer-Geist-Analogie (Putnam, Searle, Penrose) habe zwar – ganz im Sinn von Roesler – „Licht auf schwierige Probleme der Philosophie“ (ebd., S. 350) geworfen, dabei aber „das rätselhafte Phänomen Computer“ (ebd.) nicht vielschichtig genug als „grundlegend Anderes“ (ebd., S. 343) aufgefasst.
Das sich daraus ergebende Forschungsdesiderat versucht Ellrich mit den Mitteln der empirischen Sozialforschung zu füllen. Anhand einer Befragung von „Personen, die sich intensiv und andauernd mit dem Computer beschäftigen“ (ebd., S. 354) analysiert er die Signatur der von Margreiter so genannten „telematischen Prägnanz“ (ebd.). Dabei zeige sich, dass die Computerprofis das Gerät weniger als eine ‚Geistmaschine‘ denn als einen „Motor des leiblichen Bei-sich-Seins“ (ebd.) nutzen. Der sich daraus ergebenden Frage, wie sich die von Ellrich untersuchten hybriden Kommunikationsformen unter den Bedingungen der Massennutzung des Internet ethisch und politisch auswirken, geht Mark Poster in seinem Beitrag nach. Durch die Virtualisierung von Information und Kommunikation entstehe „eine Basis für kulturelles Hinterfragen“ (Poster, im vorliegenden Band, S. 376). Die von Nietzsche noch elitär formulierte Utopie einer sich selbst deterritorialisierenden Moral lege sich daher in Zukunft als transnationale Lebensform für einen „Großteil der Weltbevölkerung“ (ebd.) nahe.
Dieser gewagten Prognose liegt bei Poster die Überlegung zugrunde, dass „die Medien, in diesem Fall das Internet, [...] die moralische Umgebung [verändern]“ (ebd., S. 368). Das Besondere der digitalen Vernetzung bestehe in dem Sachverhalt, dass diese Raum und Zeit so virtualisiert, dass sich die „komfortable Trennung von Öffentlich und Privat“ (ebd.) mehr oder weniger auflöst. Die in der Moderne institutionalisierte Abspaltung des Privaten habe „es uns ermöglicht, Erfahrungen zu tolerieren, die wir eigentlich als schlecht oder sogar böse ansehen“ (ebd.). Das Öffentlichwerden dieser Erfahrungen im Netz setze daher „ein größeres Spektrum an Menschlichkeit“ (ebd.) frei. Während die traditionellen Verbreitungsmedien Buchdruck, Radio, Film und Fernsehen die Face-to-face-Kommunikation noch als nichttechnischen und nichtmedialen Raum voraussetzten und auf dieser Grundlage eine territoriale Ethik des „Gesichts“ (Lévinas) stabilisierten, sei mit der „Gesichtslosigkeit“ (ebd., S. 364) der digitalen Interaktion eine neue Form der medialen Verzahnung von Ethos und Politik notwendig geworden.
Während Poster mit Blick auf die digitalen Medien einen Beitrag zur praktischen Medienphilosophie leistet, geht Stefan Münker im Schlussessay des vorliegenden Bandes der Frage nach, wie sich der Prozess der Virtualisierung aus Sicht der theoretischen Medienphilosophie darstellt. Ganz im Sinn der von Ellrich befragten Computerprofis problematisiert der Autor den von ihm so genannten „immaterialistischen Fehlschluss“ (Münker, im vorliegenden Band, S. 384). Dieser finde sich sowohl bei Medienpropheten wie Hans Moravec und Marvin Minsky als auch bei Medienskeptikern wie Jean Baudrillard und Paul Virilio. Er bestehe in der falschen Annahme, „dass der digitale Raum eine nicht-materielle Umgebung darstellt, in der wir nur gleichermaßen immateriell agieren“ (ebd.). Demgegenüber gelte es mit Kittler zu berücksichtigen, „dass Daten immer erst maschinell erzeugt und dann permanent prozessiert werden müssen“ (ebd.). Das bedeute freilich nicht, so Münker, dass sich die Medienphilosophie der Virtual Reality auf eine Umdeutung der Computertechnologie „zu einer vom Menschen grundsätzlich unabhängigen Form von Realität“ (ebd., S. 390) kapriziert. Vielmehr gelte es, die Hardware des menschlichen Körpers und die Software der humanen Nutzerinteressen medienphilosophisch ernster zu nehmen als bisher üblich.
Damit wird abschließend noch einmal die diskursökonomische Balancefunktion deutlich, welche die Medienphilosophie innerhalb der aktuellen medientheoretischen Debatte erfüllt. Hinsichtlich der technischen Verbreitungs-, Verarbeitungs- und Speichermedien besteht diese Ausgleichsleistung vor allem darin, die Tendenz zur paradigmenbildenden Fixierung auf bestimmte technische Leitmedien zu hinterfragen. Diese Tendenz findet sich bei einer Vielzahl moderner Medien- und Kommunikationstheorien (Sandbothe 2003a). Indem die Systematische Medienphilosophie das komplexe Zusammenspiel der unterschiedlichen Medien und Mediensorten veranschaulicht, setzt sie auf die diskurstherapeutische Wirksamkeit der von Wittgenstein gepriesenen „Übersicht“ (vgl. Nagl, im vorliegenden Band, S. VII).
Dabei handelt es sich um ein forschungsökologisches Experiment, ein wissenschaftspragmatisches work in progress, dessen Ausgang offen ist. Die Zielperspektive einer systematischen Gleichberechtigung der verschiedenen Medien und Mediensorten ist alles andere als selbstverständlich. Vielmehr kann die bewusste Orientierung am Leitmedien-Denken und das fortgesetzte Arbeiten mit medialen Hierarchien durchaus als die erfolgreichere Theoriestrategie erscheinen. So finden sich auch in den Beiträgen des vorliegenden Bandes interessante Versuche, dieses oder jenes Einzelmedium zum Fundament für alle anderen zu erklären; das gilt nicht nur für die verschiedenen technischen Verbreitungsmedien, sondern auch für bestimmte Wahrnehmungs- und Kommunikationsmedien. Die diskurstherapeutische Rehabilitierung kulturell verdrängter und akademisch vernachlässigter Medienwelten lässt sich demgegenüber vor allem normativ plausibilisieren (Sandbothe 2003b). Systematische Medienphilosophie erscheint dann als intellektuelles Werkzeug, das auf der Ebene der Theorie einen Beitrag zur Demokratisierung unseres Medienumgangs im 21. Jahrhundert leisten kann.
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