Quelle: http://www.sandbothe.net/31.html
Prof. Dr. Mike Sandbothe
erschienen in: Kursbuch Internet. Anschlüsse an
Wirtschaft und Politik, Wissenschaft und Kultur, Mannheim: Bollmann-Verlag
1996, S. 424-433.
gekürzt auch in: Technologie Dialog. Magazin der
Technologiestiftung Schleswig-Holstein, Nr. 23, Themenheft: 'Schulen ans
Netz', S. 16-28.
In dem internationalen Computernetzwerk Internet waren Anfang 1996 bereits etwa 50 Millionen private, kommerzielle und wissenschaftliche Nutzer über Hochgeschwindigkeitsnetze und Telefonleitungen miteinander verbunden. Die Steigerungsraten sind exponentiell. Im Zentrum des Internet steht heute die graphische Anwenderoberfläche des World Wide Web (WWW). Die Entwicklung dieser benutzerfreundlichen graphischen Anwenderoberfläche hat zu dem weltweiten 'Bit Bang' geführt, den wir gegenwärtig erleben. Bei ihr handelt es sich um die 'killer application', die das per Mausklick bedienbare Internet zu einem Massenphänomen gemacht hat, dessen Extension sich bereits im Jahr 1995 alle 53 Tage verdoppelte.1
Um das Netz in aller Kürze zu beschreiben, greife ich auf einen Vergleich zurück: Das Internet heute ist wie eine große Universitätsstadt. In einer großen Universitätsstadt gibt es viele Studentinnen und Studenten, viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Fachliteratur und wissenschaftliche Gespräche. Natürlich gibt es auch Studentenkneipen und Uni-Cafés, in denen man zusammenhockt und flirtet, streitet, lacht, liebt, haßt oder auch einfach nur rumquatscht. Und es gibt ein großes städtisches Umfeld mit Geschäften, Banken, Politik, gesellschaftlichen Institutionen, Medien, Kultur, Theater, Nightlife und allem, was zu einer Großstadt dazu gehört. In der Vergangenheit war das Netz vor allem Universität. Gegenwärtig wird das städtische Umfeld größer und in Zukunft, so steht zu vermuten, wird die Universität nur noch einer unter den vielfältigen städtischen Datenräumen des Netzes sein.
Es gibt drei große Visionen, die die Zukunft des Netzes betreffen. Die eine Vision ist die Vision vom Education Highway. Diese Vorstellung ergibt sich aus der akademisch dominierten Geschichte des Internet. Sie besagt, daß das Netz auch in Zukunft in erster Linie eine Stätte der Bildung und des Wissens, also eine Universität bzw. Schule und kein Amüsierlokal, Kulturzentrum oder Kaufhaus sein wird. Die zweite Vision ist die Vision vom Entertainment Highway. Diese Vorstellung interpretiert die Datenautobahn als eine Art erweitertes Fernsehen. Individuelle Programmgestaltung durch Video on demand und TV à la carte, interaktive Game-Shows und 3-D-Videospiele im Cyberspace stehen im Zentrum dieser Vision. Das dritte Zukunftsszenario sieht die Datenautobahn als Commerce Highway. Zu dieser Vorstellung, die im amerikanischen Commerce-Net aber auch in der deutschen Bundesdatenautobahn bereits Realität geworden ist, gehört das Tele-Shopping in virtuellen Geschäften und der Einkaufsbummel durch die digitale Stadt ebenso wie das Konzept einer zukünftigen Netzwährung, die Etablierung von speziellen Netzbanken und das Tele-Working.
Alle drei Visionen zu verbinden und einen demokratisch organisierten, für jedermann zugänglichen Electronic Superhighway entstehen zu lassen, in dem Bildung, Unterhaltung und Kommerz gleichgewichtig zur Geltung kommen, ist das erklärte Ziel des von Bill Clinton und Al Gore in Amerika auf den Weg gebrachten Superhighway-Projekts.2 Das ist ein großer, sicherlich nicht leicht einzulösender Anspruch. In jedem Fall aber ist es wichtig zu sehen, daß die Zukunft der interaktiven Netze auf dieser dreifachen Schiene - Bildung, Kommerz und Unterhaltung - zu situieren ist. Mit Blick auf die Frage nach der Integration interaktiver Datennetze in die Ausbildung an Schulen, Fachhochschulen und Universitäten darf es meines Erachtens nicht nur um den Education-Highway gehen. Er spielt natürlich eine besondere Rolle. Aber es ist wichtig, auch die beiden anderen Aspekte des Netzes mitzuberücksichtigen: die Unterhaltung und die Wirtschaft.
Es ist die Aufgabe der Philosophie, zur Klärung von Grundbegriffen beizutragen und sich Gedanken über Fragen zu machen, die unser Welt- und Selbstverständnis im ganzen betreffen. Zu diesem Zweck haben sich die Philosophen bei den kleinen Kindern eine besondere Fragestrategie abgeguckt. Ich meine die Strategie des Was-ist-Fragens. Kindern, die versuchen, sich in der Sprache zu orientieren, macht es besonders viel Spaß, ihre Eltern mit iterierbaren Fragen wie 'Was ist denn dies?' und 'Warum denn das?' zu ärgern. Ganz ähnlich wie solche Kinder fragen auch Philosophen mit besonderer Vorliebe nach den scheinbar banalsten und einfachsten Dingen. Eine solche kindliche Philosophenfrage hinsichtlich des Netzes würde beispielsweise lauten: "Was ist das Internet?"
Sie werden jetzt sicherlich erwidern: "Aber die Frage 'Was ist das Internet?' ist doch keine philosophische, sondern eine technische oder eine kommunikationswissenschaftliche Frage." Und Sie werden fortfahren: "Daß hinter dieser Frage kein philosophisches Problem steckt, sieht man doch schon daran, daß sich auf diese Frage eine ganz leichte Antwort geben läßt. Zum Beispiel: Das Internet ist ein Medium der Kommunikation und des Datenaustauschs."
Auf einen solchen Einwand hin wird Ihnen der Philosoph selbstverständlich zunächst einmal recht geben: "Sicherlich", so wird er sagen, "liegen Sie mit Ihrer Infragestellung des philosophischen Charakters der Frage 'Was ist das Internet?' und mit ihrem Antwortvorschlag auf den ersten Blick ganz richtig." Aber nachdem er das gesagt hat, wird der Philosoph umgehend mit seiner philosophischen Kinderstrategie erneut ansetzen. So wird er z.B. aus Ihrer Antwort, daß das Internet ein Medium der Kommunikation und des Datenaustauschs sei, sogleich neue Fragen hervorzaubern. Er fragt nun zum Beispiel: "Aber was ist denn eigentlich Kommunikation? Was Datenaustausch? Und was ist überhaupt ein Medium?" Ich beschränke mich hier auf die letzte der drei Kinderfragen. Sie lautet: Was ist ein Medium?
Geht man vom Wortsinn aus, dann meint 'Medium' ein in der Mitte stehendes, ein Vermittelndes. In der Informationstheorie wird unter einem Medium ein Übertragungskanal verstanden, der dazu dient, Information von einem Sender zu einem Empfänger zu transportieren. Dieser Begriff des Mediums ist 1949 von Claude Shannon und Warren Weaver im Rahmen ihres einflußreichen Modells der Informationsverarbeitung entwickelt worden.3 Die diesem Modell zugrunde liegende Transport-Metapher hat sowohl die informationstheoretische als auch die kommunikationswissenschaftliche Forschung lange Zeit bestimmt. Gegenwärtig findet sie sich jedoch in vielen Disziplinen vehementer Kritik ausgesetzt.
Der Interpretation von Medien als neutralen Übertragungskanälen liegt die Vorstellung zugrunde, daß Informationen genauso wie beliebige materielle Gegenstände - Steine, Bretter, Kohlen - von einem zum anderen Ort transportiert werden können, ohne daß sich an dem transportierten Gut etwas verändert. Wenn man unter Informationen einfach nur Signale, reine Bits und Bytes versteht, mag dies angehen. Aber wenn man mit Informationen zugleich Bedeutungen und Sinngehalte verbindet, dann ist das Übertragungsmodell inadäquat. Dann muß man vielmehr sagen: Medien wie die Sprache, die Schrift, das Buch, das Telefon, das Radio oder das Fernsehen transportieren nicht einfach nur Information, sondern strukturieren spezifische Kommunikations- und Wahrnehmungsverhältnisse und konstituieren die sich damit verbindenden Sinngehalte.
Das hat Folgen für unser Verständnis des neuen Mediums Internet. Wir erkennen nun, daß das Internet nicht nur und nicht primär ein bloßes Mittel zum Transport von Informationseinheiten ist. Die interaktiven Netze sind vielmehr Modi der Konstruktion neuer Kommunikationsverhältnisse. Mehr noch: Die Netze eröffnen in einem genuin philosophischen Sinn neue Weisen unseres Selbst- und Weltverstehens.4
Jeder, der mit e-mail arbeitet, jeder, der einmal an einem Chat, d.h. einem Gespräch oder lockeren Small Talk in einem der Channels des IRC teilgenommen oder in einem MUD oder MOO mitgespielt hat, weiß, daß die auf eigentümliche Weise zwischen der gesprochenen Sprache und der Schrift angesiedelte "Computer Mediated Communication" die Struktur und den Inhalt von Kommunikation verändert. Man tippt in ein E-Mail schnell mal etwas, was man sonst weder in einem Brief geschrieben noch in einem Gespräch gesagt hätte. Und auf den Channels des IRC oder in den MUDs und MOOs gibt es eine eigentümliche, gleichsam psychoanalytische Dynamik, die mit unseren Namen und Adressen zugleich unsere personale und soziale Identität, ja sogar unser virtuelles Geschlecht, unsere virtuelle Hautfarbe oder unsere virtuelle Herkunft in Bewegung bringen kann.5
Auf andere, harmlosere, aber trotzdem signifikante Weise wird der Einfluß, den das Netz auf unsere Kommunikationsverhältnisse und damit zugleich auf unser Selbst- und Weltverständnis hat, an der graphischen Nutzeroberfläche des World Wide Web (WWW) deutlich. Es ist interessant, die Medienstruktur des World Wide Web einmal mit dem Fernsehen zu vergleichen. Während das Fernsehen von seiner Kommunikationsstruktur her als Einbahnstraße zu beschreiben ist - die Informationen bewegen sich unidirektional von der programmächtigen Institution der Sendeanstalt zum passiven Fernsehkonsumenten - , ist das Web ein interaktives und multidirektionales Medium.
Jeder Empfänger ist selbst ein potentieller Sender. Jeder, der einen PC, einen On-line-Anschluß, die entsprechende Software und zusätzlich vielleicht sogar noch eine Video-Kamera, einen Fotoapparat oder einen Scanner hat, kann seine eigene multimediale Web-Seite designen, sein eigenes Programmangebot gestalten. Er kann die Web-Page mit Informationen über sich und seine Interessen anreichern, kann dort Statements, Fotos, Videos publizieren und anderen Gelegenheit geben, darauf zu reagieren.
Aber auch wenn wir nur als Rezipienten im Web unterwegs sind, werden wir immer wieder an Stellen kommen, wo unser Kommentar gefragt ist, wo eine Schnittstelle zu einem Chat-Programm, die Möglichkeit für eine e-mail-Antwort oder ein Bulletin Board (d.h. ein `schwarzes Brett`) zum Hinterlassen von Nachrichten vorbereitet wurde. In Einzelfällen besteht sogar die Möglichkeit, direkt aktiv und gestaltend innerhalb fremder Web-Seiten tätig zu werden, d.h. Texte weiterzuschreiben, Bilder zu verändern oder Videos einzuspeisen. Diese Möglichkeiten sollen zukünftig durch neue Programmiersprachen wie Hyper-G, Java und VRML (Virtual Reality Markup Language) noch verbessert werden. Doch bereits für das World Wide Web in seiner jetzigen Gestalt gilt: Der ehemals passive Fernseh-Empfänger wird im Web zu einem aktiven Manager und Komponisten seines individuellen Programms. Mehr noch: Er wird zu einem interaktiven Mitspieler innerhalb des sich in ständigem Fluß befindenden Netzgeschehens.
Daß der Bildungs- und Wissensaspekt des Electronic Superhighway neue Standards für die wissenschaftliche Arbeit an den Universitäten setzen wird bzw. bereits gesetzt hat, steht außer Zweifel. Das gilt nicht nur und nicht einmal primär für die Medizin, die Natur-, Wirtschafts-, Ingenieur- und Technikwissenschaften, sondern auch und vor allem für die Geistes-, Sozial- und Erziehungswissenschaften. Durch die direkten Zugriffsmöglichkeiten auf elektronische Bücher, auf digitale Zeitschriften, auf die On-line-Kataloge aller wichtigen Bibliotheken und auf die persönlichen Web-Pages von Wissenschaftlerkollegen in aller Welt werden insbesondere die sogenannten 'Buchwissenschaften' revolutioniert.6
Es wird in Zukunft weniger Zeit verschwendet werden für die aufwendige Suche von Zitaten, für die mühsame bibliographische Recherche, für das Auffinden, Bestellen, Ausleihen eines Buches und für den manchmal nervenzermürbenden Kampf mit dem Bibliothekar, der seine Aufgabe häufig darin sieht, die Bücher vor den Lesern zu schützen statt sie diesen zur Verfügung zu stellen. Zukünftig werden Schülerinnen und Schüler, Studentinnen und Studenten, Lehrerinnen und Lehrer, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wieder mehr Zeit haben, um zu denken, zu analysieren und mit ihren eigenen Überlegungen kreativ voranzuschreiten. Es ist wichtig und meines Erachtens unverzichtbar, die Lehrenden und Lernenden in den Schulen und an den Universitäten so früh wie möglich mit der neuen Kulturtechnologie, die dies alles ermöglicht, vertraut zu machen.
Bei aller Begeisterung und bei aller Faszination dürfen wir aber auch die Gefahren, Risiken und Schattenseiten, die sich mit den interaktiven Netzen verbinden, nicht vergessen. Die Negativseiten haben zum einen mit der engen Verflechtung zu tun, die zwischen den kommerziellen, den auf Bildung und den auf Entertainment ausgerichteten Datenlandschaften bestehen. Darauf komme ich am Ende noch kurz zu sprechen. Zum anderen lauern aber auch schon innerhalb des Education Highway selbst beträchtliche Risiken.
So sind die Übergange zwischen zeitsparender, zielsicherer Recherche und orientierungsloser, zeitraubender Klickorgie auf dem World Wide Web bereits heute fließend. Ein ungeübter Umgang mit dem Web kann zu einer Auflösung des konzentrierten Arbeitens, zur Aufspaltung und schließlich zur Zerstreuung des systematischen Lernvorgangs führen. Und auch für das wissenschaftliche Forschen drohen Gefahren. Das Netz, so die Befürchtung von Internetkritikern, könnte die ohnehin bereits vorherrschende Orientierungslosigkeit im Dschungel der Publikationen durch eine informatische Überflutung mit Unmengen von unsystematisch miteinander korrelierten Daten noch steigern.
Auch wenn es gute Gründe gibt, davon auszugehen, daß Befürchtungen der letztgenannten Art durch Rechercheprogramme und individuell programmierbare Suchagenten behoben werden können, müssen uns gleichwohl die in den genannten Befürchtungen insgesamt angesprochenen Gefahren klar vor Augen stehen. Um ihnen zu begegnen, ist es wichtig, daß die Lehrenden und Lernenden nicht einfach nur in die technischen Handgriffe eingewiesen werden, die sie im Umgang mit dem neuen Medium beherrschen müssen.
Zur technischen Ausbildung muß parallel eine fachspezifische Didaktik hinzukommen, durch die das Netz in allen wichtigen Fächern in den Unterricht einbezogen wird. Damit verbunden bedarf es der systematischen Einübung von differenzierter Medienkompetenz, die auf kritischer Urteilskraft beruht, und der Entwicklung und Vermittlung einer medienphilosophisch fundierten, pragmatischen Netznutzungsethik.7 Auf diesem Hintergrund zeichnen sich wichtige Zukunftsaufgaben für den Ethik- und Philosophie-Unterricht an den Schulen sowie für die humanwissenschaftliche Forschung und Lehre an den Universitäten ab. Insgesamt tut sich ein Aufgabenspektrum auf, das weit über die Leistungen hinausweist, die von den Informatiklehrer(inne)n an den Schulen bzw. von den technik- und ingenieurwissenschaftlichen Disziplinen an den Universitäten erbracht werden können.
Die Einführung von internationalen Datennetzen in den Unterricht bedeutet für fast alle Schulfächer eine didaktische Revolution. So wird im Fremdsprachenunterricht zukünftig an die Stelle künstlicher Dialoge und nachgestellter Kontexte die direkte Netzkommunikation mit Gesprächspartnern in aller Welt treten. Ein Beispiel: Im Rahmen eines Pilotprojekts sind 1994 die Englisch-Schülerinnen und -Schüler der achten Klasse des Gymnasiums Ulricianum in Aurich (Ostfriesland) mit gleichaltrigen Schülerinnen und Schülern der Captain Manuel Rivera School im New Yorker Elendsviertel South Bronx elektronisch vernetzt worden.8 Der Erfolg war überwältigend. Auch und gerade Schülerinnen und Schüler, die zuvor kaum Interesse am Englischunterricht gezeigt hatten, studierten nun eifrig die Lexika, um zu verstehen, was ihnen die neu gewonnenen Freundinnen und Freunde auf dem anderen Kontinent mitzuteilen hatten.
Dabei sind die Übergänge zu geographischen, ästhetischen, biologischen, religiösen oder historischen Fragestellungen, die on-line diskutiert und recherchiert werden können, fließend. Die interaktiven Datennetze revolutionieren nicht nur die Didaktik, sondern bringen auch Bewegung in die traditionellen Fächergrenzen. Transdisziplinarität kann mit Hilfe des Netzes bereits in der Schule eingeübt werden. Das setzt freilich voraus, daß die Lehrer untereinander über die Fächergrenzen hinaus zukünftig enger kooperieren. Auch die Lehrerausbildung an den Universitäten wird sich bald auf diese neuen Verhältnisse einzustellen haben. Mittel- und langfristig wird sich die Konzeption und Etablierung ganz neuer, transdisziplinärer Unterrichsfächer und Studiengänge nahelegen.
Das gilt umso mehr als sich der Education Highway nicht trennscharf vom Commerce-Highway und vom Entertainment-Highway scheiden läßt. Die Bildungspolitiker sollten die Fehler, die sie beim Fernsehen gemacht haben, das lange Zeit in den Lehrplänen der Schulen und für die Disziplinenstruktur der Universitäten keinerlei Rolle gespielt hat, nicht bei den interaktiven Netzen noch einmal wiederholen.
Das Netz wird sich langfristig zu einer Art zweiten Welt entwickeln. Einer Welt, in der über die Verhältnisse in der ersten, der realen Welt debattiert, informiert und häufig sogar entschieden werden wird. Einer Welt, die auf's engste mit dem 'real life' verflochten sein wird und von der aus es Übergänge geben wird, die zu nutzen und auszubauen wir alle erst lernen müssen. Es gehört keinerlei Prophetie, sondern nur nüchterner Tatsachensinn dazu, um die folgende Voraussage machen zu können: Transversale Medienkompetenz in der globalen Datenlandschaft des Electronic Superhighway wird eine grundlegende, vielleicht sogar die entscheidende Qualifikation auf dem sich zunehmend internationalisierenden Arbeitsmarkt des 21. Jahrhunderts sein.
Das hat man in den Vereinigten Staaten, in Japan, in Australien und in einigen europäischen Ländern (insbesondere in England, Frankreich und Finnland) bereits sehr früh erkannt. Auch in Deutschland sind in diesem Jahr wichtige Wegmarken für die Zukunft der Informationsgesellschaft gesetzt worden.9 Aber die Ausstattung mit avancierter High-Tech und erstklassigen Datenbanken allein ist nicht ausreichend. Unser Handeln sollte sich nicht nur am abgedroschenen Schlagwort der Informationsgesellschaft, sondern am anspruchsvolleren Ideal einer Informations- und Kommunikationsgesellschaft orientieren. Vernachlässigen wir die Entwicklung der dringend nötigen Übergangskompetenzen zwischen On-line und Off-line-Welt und unterlassen wir es, uns selbst und den Lernenden das reflektierte Wandeln zwischen den Welten so bald als möglich beizubringen, kann das Netz zu einer Falle werden, in der Anonymität, Vereinsamung, Manipulation, Betrug und Verdummung drohen.
Um dies zu vermeiden, ist es wichtig, daß nicht nur die kreative und verantwortunsvolle Arbeit mit dem Education Highway, sondern auch der distanzierte und reflektierte Umgang mit dem Commerce-Net und dem Entertainment-Highway in Schule und Universität eingeübt wird. Die Verflechtung von Wirtschaft, Unterhaltung und Bildung, die für das Internet charakteristisch ist, muß nicht notwendig als Risiko, sondern kann auch als Chance begriffen werden. Forschen, Lehren und Lernen könnten mit Hilfe des Internet zukünftig problembewußter und anwendungsorientierter gestaltet werden.
Auf diesem Hintergrund erscheint die verschiedentlich geforderte Einrichtung von geschlossenen Informationssystemen für Schulen und Universitäten als kontraproduktiv. Geschlossene Bildungsnetze erkaufen den vermeintlichen Vorteil, ihre Nutzer vor den Gefahren der offenen Netze zu schützen (Stichwort: Pornos im Internet), durch den gewichtigen Nachteil, Bildung und Wissen erneut in einen praxisfernen Raum zu verbannen. Schule und Universität blieben damit auch unter vernetzten Bedingungen weitgehend abgetrennt von den tagesaktuellen Kontexten und den bereichsübergreifenden Verflechtungen, welche die 'wirkliche' Netzwelt des Internet ebenso wie das reale Leben bestimmen. Bildung in offenen Netzen setzt allerdings voraus, daß die Digitalisierung der Schulen und Universitäten nicht als Vorwand für weiteren Personalabbau benutzt wird, sondern als Anlaß für eine Revalidierung der weit über bloße Wissensvermittlung hinausgehenden Aufgaben von Lehrerinnen und Lehrern an Schulen und Hochschulen verstanden wird.
Nur so können die Studentinnen und Studenten, die Schülerinnen und Schüler von früh an lernen, die miteinander eng verflochtenen Datenlandschaften kritisch zu analysieren und sie ihren heterogenen Profilen entsprechend zu nutzen. Unser Ziel sollte es sein, den Lernenden beizubringen, die Schnittstellen zwischen den verschiedenen Highways produktiv für ihre eigenen Interessen und Intentionen einzusetzen. Um dies zu erreichen, müssen wir alle gemeinsam den Übergang einüben, der vom Electronic Superhighway zum alltäglichen Leben, von den virtuellen Gemeinschaften zu den realen Freundschaften, von den komplexen Informationen zu den konkreten Fragestellungen führt.