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Quelle: http://www.sandbothe.net/289.html

Prof. Dr. Mike Sandbothe


erschienen in: Soziologische Revue, 2/2003, Jg. 26, S. 292f.

Rezension

Subjektivität und Öffentlichkeit. Kulturwissenschaftliche Grundlagenprobleme virtueller Welten, hrsg. von Mike Sandbothe und Winfried Marotzki, Köln: Halem-Verlag 2000.

Der Sammelband vereint kulturwissenschaftliche und philosophische Perspektiven auf das Internet bzw. "virtuelle Welten". Eine Mehrzahl der AutorInnen entstammt der Philosophie; im Übrigen sind aber auch die Disziplinen Erziehungswissenschaft, Soziologie, Geschichte und Informatik in dem Band vertreten. Die Hälfte der Beiträge der internationalen AutorInnenschaft ist auf Englisch, die Hälfte auf Deutsch verfasst. Der Band ist in die drei Teile "medienphilosophische Grundlagen", "digitale Subjektivität" und "virtuelle Öffentlichkeiten" geordnet.

Teil 1 setzt sich mit medienphilosophischen Grundfragen virtueller Realität auseinander. Hubert Dreyfus analysiert unter Bezugnahme auf Kierkegaard das Internet als öffentlichen Raum und gelangt zu dem Schluss, dass Engagement und Partizipation von dem Medium gerade nicht unterstützt werden. Wolfgang Welsch hinterfragt das »Virtuelle« als Unterscheidungskriterium des Internet von anderen Medien. Er zeigt auf, dass alle medialen Erfahrungen immer schon einen »virtuellen« Charakter aufweisen und verweist angesichts der gegenwärtigen »Virtualisierung« auf die komplementär steigende Bedeutung nicht medialer Erfahrungsformen. Auch Mark Poster beschäftigt sich mit dem Begriff der »Virtuellen Realität«. In kritischer Auseinandersetzung mit Baudrillard und Derrida verweist er auf das Desiderat substantieller Analysekonzepte für virtuelle Medienwelten. Mike Sandbothe komplettiert den ersten Teil mit seinem Entwurf einer pragmatischen Medienphilosophie. Er konzipiert Zeichen nicht semiotisch als Repräsentationen, sondern als Werkzeuge zur Koordination von Handlungen.

Teil 2 des Bandes setzt sich mit den Wirkungen des Mediums Internet auf Subjektivität auseinander. Dazu untersucht Sibylle Krämer die Veränderungen von Subjektivität in der Interaktion mit symbolischen Formen in virtuellen Welten und kommt zu dem Schluss, dass der interaktive Umgang mit Dingen und Symbolstrukturen am angemessensten im Modus des Spiels zu erfassen sei. Marten Soby setzt sich kritisch mit der in der Pädagogik vorherrschenden dichotomen Trennung von Kultur und Technologie auseinander und argumentiert demgegenüber, dass Technik gerade als Teil der Kultur zu verstehen sei. Lars Lovlie verweist zum einen auf Unterschiede der Konstitution des Selbst im Internet von der des »traditionellen« Subjekts, zeigt aber zum anderen Verbindungen zwischen beiden auf Grundlage der Konzepte Identität und Gedächtnis auf Elena Esposito zeigt auf, wie Hypertexte den Verstehensprozess und damit Vorstellungen von Subjektivität verändern.

Teil 3 schließlich beschäftigt sich mit Formen der Interaktion, Intersubjektivität und Vergemeinschaftung im Netz. Antje Gimmler arbeitet Potentiale des Internet für eine deliberative Demokratie im Habermas'schen Sinne sowie dazu erforderliche administrative Rahmenbedingungen heraus. Amy Bruckman setzt sich mit der Rolle des Künstlers im Internet auseinander und verweist zugleich auf Chancen, die Einwegkommunikation bisheriger Massenmedien zu überwinden. Christina Schachtner setzt sich mit Emotionen in computergestützter Kommunikation auseinander. Sie kommt zu dem Schluss, dass der emotionale Umgang mit dem Internet in Erziehungs- und Bildungsprozessen erlernt werden muss. Winfried Marotzki schließlich befasst sich in seinem Beitrag mit der Nutzung des Internets für Bildungszwecke. Er unterscheidet instrumentelle und bildungstheoretische Perspektiven und fasst das Internet als kulturellen Raum.

Erklärtes Ziel der Herausgeber des Sammelbandes ist es, kulturwissenschaftliche Beiträge zur Erforschung virtueller Welten zu liefern. Dies gelingt dem facettenreichen Band, der durchweg originelle und auch für Sozialwissenschaftler anregende und diskussionswürdige Beiträge vereint. Deren Heterogenität ist Ausdruck davon, dass entsprechende philosophische und kulturwissenschaftliche Auseinandersetzungen mit dem Internet noch am Anfang stehen.

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