[schließen] [drucken]

Quelle: http://www.sandbothe.net/155.html

Prof. Dr. Mike Sandbothe


erschienen in: Medienwissenschaft: rezensionen-reviews, 2/2002.

Peter Riedel (Marburg)

Rezension

Mike Sandbothe: Pragmatische Medienphilosophie. Grundlegung einer neuen Disziplin im Zeitalter des Internet. Weilerswist: Velbrück 2001, 276 S., ISBN 3-934730-39-6, 24,50 €.

Mit seiner Studie Pragmatische Medienphilosophie. Grundlegung einer neuen Disziplin im Zeitalter des Internet hat Mike Sandbothe ein Buch vorgelegt, das unter Rekurs auf die Arbeit Richard Rortys Medialität aus pragmatischer Perspektive zu beleuchten versucht, um jenseits des Streites zwischen Medienrealisten und Medienkonstruktivisten einen dritten Weg aufzuzeigen. Der wohl entscheidende Schritt besteht darin, das Augenmerk nicht nur auf die Funktionalität und Interessengebundenheit einzelner Medien zu lenken, sondern das eigene theoretische Konzept in Hinblick auf soziopolitische Zielsetzungen auszuformulieren. Anders als theoretizistische Ansätze, die die Frage nach den medialen Möglichkeitsbedingungen von Erkenntnis, von Sinn- und Wirklichkeitskonstitution zum Selbstzweck erheben, geht der pragmatische Ansatz der Frage nach, "wie sich mediale Techniken nutzen lassen könnten, um zur Etablierung von Wirklichkeitsverständnissen und Alltagsepistemologien beizutragen, die der Ausbildung und Weiterentwicklung demokratischer Gesellschaftsformen förderlich sind." (238)

Als charakteristisch für diese Spielart des Pragmatismus erweist sich die von Rorty übernommene blinde Akzeptanz des aufklärerischen, demokratischen Modells als in ihrer Kontingenz hinzunehmende historische Gegebenheit, die keiner weiteren Legitimation bedürfe (96f., 138; 142-144). Den Absichten des Autors entgegen bekommt sein Ansatz dadurch selbst einen undemokratischen Beigeschmack, insofern die einklagbare argumentative Rechtfertigung von Ansprüchen, eine Grundbedingung demokratischen Verfahrens, auf diesem Wege für einen zentralen Aspekt seines eigenen Konzeptes abgewiesen wird. Das Eintreten für eine demokratisch funktionalisierte Medientheorie bei gleichzeitiger Ablehnung ihrer Rechtfertigung ist letztlich ein performativer Widerspruch.

Pragmatische Medienphilosophie bietet über weite Strecken eine kritische Lektürearbeit, die die transversale Verknüpfung divergierender Theorien (v.a. von Rorty, Welsch, Derrida und McLuhan) auf neuem, pragmatischem Feld zu organisieren versucht. Die Zweckbestimmung der eigenen Theorie als eines Konzeptes, das im demokratischen Sinne gesellschaftliche Wirkung zeitigen soll, legt es dabei nahe, der Reflexion des Internet, eines Mediums mit, wie Sandbothe meint, „basisdemokratischer Grundsignatur“, breiten Raum zu widmen. Eine wesentliche Pointe besteht nun darin, nicht dem Internet an sich eine emanzipatorische Funktion zuzuschreiben, sondern lediglich die Potentiale entsprechender Nutzungsformen, die selbst von kontingenten Rahmenbedingungen abhängig seien, herauszuarbeiten.

Hierbei treten spezifische pädagogische Notwendigkeiten hervor, die eine demokratische Nutzbarmachung des Internet auf breiter Basis erst ermöglichen helfen: Bedingt durch den zunächst strukturlosen Charakter des im Netz versammelten Datenbestandes ergebe sich das Erfordernis einer Ausbildung reflektierender Urteilskraft, die den Einzelnen dazu in die Lage versetzt, das Angebot selbst zu strukturieren, in Abhängigkeit von den jeweils gesetzten Zwecken. Mit der allgemeinen Bereitstellung etwa von Computern an Schulen wäre das eigentliche Problem der Informationsgesellschaft noch nicht einmal berührt, denn Gleichheit der Chancen stellt sich hier keineswegs allein über die schlichte Zugänglichkeit der Technologien für alle Bevölkerungsschichten her, sondern über die gleichen Fähigkeiten im Umgang mit dem Datenmaterial. Durch die zunehmende Kommerzialisierung des Internet bestehe überdies nicht nur die Gefahr einer Verschließung von Informationsquellen für all jene, die sich die Abfrage kostenpflichtiger Dienste finanziell nicht leisten können, sie verschärfe zudem die Tendenz zum primär konsumtiven Surfen gegenüber dem gezielten Recherchieren von Informationen. Die pragmatische Medienphilosophie will dementgegen Wege aufweisen „für eine Optimierung der demokratischen Kommunikationsverhältnisse im Zeitalter des Internet“, für die Nutzbarmachung seiner „vielfältigen Demokratisierungspotentiale“ (235). Sandbothe entfaltet seine medienpädagogischen Vorstellungen anhand eigener Erfahrungen mit dem Einsatz von Online-Kommunikation bei der Gestaltung von Seminaren.

Das Internet ist aber noch in einer zweiten Hinsicht von grundlegendem Interesse für Sandbothes Anliegen, soll doch mit seiner zunehmenden Ausbreitung eine pragmatische Transformation des common sense verbunden sein: Das alltägliche Zeichenverständnis werde einem Dekonstruktionsprozeß unterzogen, es vollziehe sich eine Bewegung der différance im Derrida’schen Sinne. An die Stelle eines (vermeintlich) geschlossenen Wissenssystems, in dem Zeichen mit festen Bedeutungen versehen und auf eine sinnverbürgende Autorität zurückbezogen seien, trete ein unendlicher Bereich miteinander verlinkter Texte, ein Verweisungszusammenhang, in dem das einzelne Zeichen, etwa beim Anklicken eines Buttons zwecks Buchbestellung, direkt seine pragmatische Signatur zur Schau stelle. Dies insofern, als es unmittelbar als Instrument des Handelns, der Interaktion, offensichtlich werde: Indem ich das Zeichen verwende, agiere ich, löse ich mitunter ganze Ketten von Aktionen und Reaktionen aus.

Sieht man einmal von der doch fragwürdigen Einbindung Derridas ab, mit der man wohl weder seiner dekonstruktiven Praxis, noch den Eigenheiten des Internet wirklich gerecht wird, so kann sicher festgehalten werden, daß durch die Konfrontation mit der digitalen Datenflut die Notwendigkeit eines Know Hows im Umgang mit Informationen gegenüber der Einlassung auf einen autoritativ abgesicherten Wissensbestand klarer hervortritt als bei herkömmlichen Medien. Ein anderer Punkt ist jedoch die Frage, auf welcher Grundlage sich die reflektierende Urteilskraft bewegen soll. Auch der Faschist sondiert seine Informationen zweckbezogen, wählt aus zwischen dem Brauchbaren und dem Unbrauchbaren. Beschränkt man sich auf die Proklamation eines demokratischen, aufklärerischen Projektes, dem, da es nun einmal existiere, auch Folge zu leisten sei, so führt dies auf das eingangs erwähnte Problem zurück, daß man den eigenen Ansatz argumentativ gar nicht zu vertreten vermag (aufgrund eines selbst auferlegten Denkverbotes) und entsprechend dem Andersdenkenden (wenn er denn denkt) nur den eigenen Willen zur Demokratie entgegenhalten kann. Letztlich steht dann Wille gegen Wille, und inwiefern das Einstehen für eine solche Konstellation wiederum als demokratisch verteidigt werden kann, müßte erst noch erläutert werden. Die Frage der Rechtfertigung jedenfalls, der argumentativen Begründung demokratischer Forderungen, scheint alles andere als nur theoretizistisch zu sein.

Von einer pragmatischen Medienphilosophie, die sich explizit politischen, demokratischen Zwecken verschreibt, müßte erwartet werden können, daß sie einen inneren Konnex zwischen Demokratie und Pragmatismus aufweist. Anderenfalls wäre die demokratische Orientierung bloßes Beiwerk und die pragmatische Betonung von Effizienz beliebig instrumentalisierbar. Ein solcher Zusammenhang läßt sich aber nicht allein unter Bezug auf den Gebrauch der von Sandbothe fokussierten technischen Verbreitungsmedien explizieren, vielmehr müßte man auf den Vollzug der Semiosen, auf die ihnen inhärenten Strukturen und Normativitäten rekurrieren, ein Ansatz, der in Sandbothes Augen wohl als theoretizistisch anzusehen wäre. Der Versuch einer strikten Abgrenzung gegenüber dem Theoretizismus entsprungenen Fragestellungen verschließt sich jedoch viele Möglichkeiten, der Text schießt über sein Ziel hinaus.

Gleichwohl handelt es sich bei Mike Sandbothes Studie um eine gut lesbare Einführung in die Grundfragen einer vom Rorty’schen Pragmatismus aus zu entwickelnden Medienphilosophie. Der Text selber gibt sich hierbei explizit als Bauskizze, nicht als fertiges Gebäude. Gewissen grundsätzlichen Fragwürdigkeiten zum Trotz handelt es sich zweifelsohne um einen wichtigen Diskussionsbeitrag in Hinblick auf die Ausarbeitung einer pragmatischen Medientheorie.

Nach oben