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Quelle: http://www.sandbothe.net/127.html

Prof. Dr. Mike Sandbothe


erschienen in: Communicatio Socialis, 1/2002.

Lars Rademacher

Rezension

Subjektivität und Öffentlichkeit. Kulturwissenschaftliche Grundlagenprobleme virtueller Welten, hrsg. von Mike Sandbothe und Winfried Marotzki, Köln: Halem-Verlag 2000.

Wer von virtuellen Welten spricht, hat damit in der Regel die Digitalmedien, insbesondere das Internet, im Blick. Diesem Metamedium wird unendlich viel zugetraut. Etwa die bislang etablierten Medien in sich aufzunehmen; offenbar auch - das macht der vorliegende Band deutlich - eine Reformulierung des Wissenschaftssystems. Der Salzburger Mediendienepistemologe Stefan Weber hat jüngst dargestellt, wie in der Medientheorie aus seiner Sicht eine Differenz zwischen klassisch getrennten Disziplinen wie etwa Literaturwissenschaften, Linguistik, Philosophie, Kommunikationswissenschaften etc. problemorientiert entfällt.

Eben diesen Ansatz wählen auch die Herausgeber des vorliegenden Sammelbandes als Ausgangspunkt. Die kulturelle Mitgestaltung der sich neu strukturierenden Medienlandschaft (?) setze eine transdisziplinäre Wissensstruktur voraus, in der pragmatische, dekonstruktivistische, phänomenologische, existenzphilosophische, system- und diskurstheoretische Perspektiven fächerübergreifend miteinander auf problemorientierte Weise verflochten sind. (S. 7 f.) Irgendwie scheint man sich an derlei Mutmaßungen gewöhnt zu haben - auch wenn nichts wirklich für sie spricht. Das Anliegen, aufzuzeigen, welchen Beitrag kulturwissenschaftliche Forschung zum wechselvollen Bezugsrahmen von Subjektivität versus Öffentlichkeit (oder Subjektivität / Öffentlichkeit) beitragen kann, wird dadurch aber nicht unwichtig. Im Gegenteil.

Der erste Teil des Bandes widmet sich medienphilosophischen Grundlagen für eine kulturwissenschaftliche Theorie der neuen Medienwelten. Hubert L. Dreyfus zeigt unter Rückgriff auf Kirkegaard, dass das Internet zwar die ästhetische Flexibilität und ethische Freiheit des Menschen voranbringen mag, aber die von Kirkegaard als Vollendung des Menschen verstandene Fähigkeit zum Eingehen unbedingter Verpflichtungen nicht unterstützt. Wolfgang Welch kommt in seiner Analyse zum Ergebnis, dass der Umgang mit den digitalen Formen der Wirklichkeitserzeugung zu einer Revalidierung nicht-elektronischer Verbindlichkeiten führen kann, in deren Zentrum Erfahrungen von Materie und Individualität stehen.

Ein Defizit in den medientheoretischen Konzeptionen von Derrida und Baudrillard deckt Mark Poster auf. Die Vordenker von Posthistoire und Dekonstruktion hätten keine angemessenen Konzepte zur kulturwissenschaftlichen Analyse der virtuellen Medienwelten entwickelt. Dazu muss angemerkt werden, dass den diskutierten Metakonzepten auch nicht mehr abverlangt werden sollte, als diese leisten können. Mike Sandbothe macht deutlich, dass Zeichen im Internet nicht im semiotischen Sinn als Repräsentationen verwendet werden, sondern antirepräsentationistisch als Werkzeuge zur Koordination von virtuellen und realen Handlungen. Weitere Beiträger des Bandes sind Sybille Krämer, Morten Soby, Lars Lovlie, Elena Esposito, Antje Gimmler, Amy Bruckman, Christiane Schachtner und Herausgeber Winfried Marotzki.

Der Band besticht durch die im Bereich der neuen Medien noch seltenen Theoriearchäologien der Philosophie, Soziologie und Politikwissenschaft, mit denen sich die Autoren am Beispiel älterer und neuerer Theorien auseinander setzen. Die Ambivalenz des Haupttitels bleibt erhalten. Geht es zunächst um ethisch-ästhetische und anthropologische Studien, so tritt später der soziologisch-demokratietheoretische Aspekt hinzu. Immer wieder überraschen die Autoren mit spannenden Theoriefiguren wie etwa Sybille Krämer, die gerade die Ausschaltung der Interaktivität bei unilinearen Massenmedien wie Buchdruck, Radio oder Fernsehen als kulturstiftenden Akt begreift. Diese Denkfigur, die auf temporäres Stillstellen als Voraussetzung für kulturstiftendes Handeln zählt, findet sich auch in der Systemtheorie etwa Dirk Beckers wieder.

Etwa zur Hälfte sind die enthaltenen Beiträge in englischer und deutscher Sprache verfasst. Der dadurch zum Ausdruck kommende internationale Anspruch wird aber leider durch das Fehlen von Abstracts in der je anderen Sprache unterlaufen. Das ist schade, weil ein internationaler Leserkreis, der dem Buch zu wünschen ist, durch die noch immer große Zahl nicht kommentierter deutscher Beiträge abgeschreckt werden dürfte.

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